ETH Hönggerberg, Werner, fotografiert am Montag (13.11.2017) Bild: Christoph Kaminski, kellenbergerkaminski

Epidemiologische Lagebeurteilung, 18. Oktober 2021

Allgemeine Situation

Die SARS-CoV-2-Epidemie wird zurzeit fast ausschliesslich durch die Delta-Variante (B.1.617.2) verursacht, die im Sommer die zuvor zirkulierenden Varianten abgelöst hat. Die Zahl der Fälle und Krankenhausaufenthalte stieg zwischen Ende Juni und Mitte August 2021 an, stabilisierte sich dann einen Monat lang auf hohem Niveau, und ging seit Anfang September 2021 wieder zurück. Diese Woche ist kein Rückgang mehr zu verzeichnen.

Es wird erwartet, dass die Zirkulation saisonal bedingt wieder zunehmen wird, was zu einem R-Wert von über 1 führen würde. Simulationsstudien des ECDC sagen für europäische Länder mit einer Impfdeckung ähnlich der Schweiz voraus, dass die Maximal-Last der Hospitalisierungen bis Ende November 2021 die Maximal-Last des letzten Jahres übersteigen könnte[1]. Eine rasche Zunahme der Zahlen wäre für das immer noch stark belastete Gesundheitswesen sehr schwierig zu bewältigen.

Dynamik

Seit Anfang September 2021 nahm die SARS-CoV-2-Epidemie ab (Re<1). Seit dieser Woche aber ist der R-Wert bei 1 und die Positivitätsrate steigt sogar signifikant (Re= 1,12; 95% UI: 1,02-1,21). Der 7-Tageschnitt der schweizweiten Reproduktionszahl ist bei 0,99 (95% Unsicherheitsintervall, UI: 0,92-1,07); dies reflektiert das Infektionsgeschehen vom 02.10. – 08.10.2021[2].

Tagesbasierte Schätzungen der effektiven Reproduktionszahl Re für die Schweiz betragen:

  • 1 (95% UI: 0,91-1,09) aufgrund der bestätigten Fälle, per 08.10.2021.
  • 0,85 (95% UI: 0,62-1,11) aufgrund der Hospitalisationen, per 03.10.2021. Zum Vergleich aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 0,97 (95% UI: 0,91-1,03) geschätzt.
  • 1,05 (95% UI: 0,55-1,72) aufgrund der Todesfälle, per 27.09.2021. Zum Vergleich aufgrund der Hospitalisationen wird Re für den selben Tag auf 0,89 (95% UI: 0,67-1,13) geschätzt. Aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 0,86 (95% UI: 0,72-0,99) geschätzt.

Wegen Meldeverzögerungen und Fluktuationen in den Daten könnten die Schätzwerte nachkorrigiert werden. Wir weisen darauf hin, dass die Re Werte das Infektionsgeschehen nur verzögert widerspiegeln, weil eine gewisse Zeit vergeht zwischen der Infektion und dem Testresultat oder dem etwaigen Tod. Für Re Werte, die auf Fallzahlen basieren, beträgt diese Verzögerung mindestens 10 Tage, für Todesfälle bis zu 23 Tagen.

Parallel bestimmen wir die Änderungsraten der bestätigten Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle über die letzten 14 Tage[3]. Die bestätigten Fälle gingen  um 1% (UI: 13% bis -9%) pro Woche zurück, die Hospitalisationen um -24% (UI: -5% bis -39%) und die Todesfälle stiegen um 13% (UI: 85% bis -31%).   Diese Werte spiegeln das Infektionsgeschehen vor mehreren Wochen wider.

Eine Veränderung der Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todesfällen stratifiziert nach Alter kann auf unserem Dashboard verfolgt werden[4]. Die Zahl der Fälle ist in keiner der Altersgruppen signifikant rückläufig, mit Ausnahme der Altersgruppen der 0-10 und 10-20-Jährigen, was durch verringerten Kontakt und Testung in den Herbstferien erklärt werden könnte. Hospitalisierungen fielen über die letzten 14 erfassten Tage nicht signifikant. Bei getrennter Betrachtung der Altersgruppen ist dieser Trend für keine der Altersgruppen signifikant.

Absolute Zahlen

Die kumulierte Anzahl der bestätigten Fälle über die letzten 14 Tage liegt bei 146 pro 100’000 Einwohner. Die Positivität liegt bei 4,3% (Stand 16.10.2021, das ist der letzte Tag für welchen nur noch wenige Nachmeldungen erwartet werden).

Die Anzahl der COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen lag über die letzten 14 Tage im Bereich von 136-184[5] Personen (die Änderung war -17% (UI: -10% bis -24%) pro Woche).

Die Zahl der täglichen laborbestätigten Todesfälle über die letzten 14 Tage war zwischen 1 und 9[6].

SARS-CoV-2 Varianten

Seit Kalenderwoche 26 ist Delta (B.1.617) die dominante Variante in der Schweiz. Diese ursprünglich in Indien beschriebene Variante hat seit der Kalenderwoche 38 eine Häufigkeit von 100% unter den sequenzierten Fällen[7]. Aus diesem Anstieg der Häufigkeit von Delta kann man einen Transmissionsvorteil gegenüber Alpha von 58% (95% UI: 56-60%) berechnen,  konsistent mit Schätzungen des Übertragungsvorteils von 56% (95% UI: 34%-81%) aus England[8]. Wegen dieses Übertragungsvorteils dominiert Delta jetzt die Pandemie in vielen Teilen der Welt.

Delta verursacht schwerere Verläufe als die zuvor in der Schweiz dominierenden Stämme. In einer grossen Studie in England hatten Patienten mit Delta im Vergleich zu Patienten mit Alpha ein mehr als doppelt so hohes Hospitalisierungsrisiko[9]. Ein ähnlicher Anstieg des Risikos wurde in Schottland[10] und in Kanada[11] beobachtet.

Delta und Impfstoff Wirksamkeit

Infektion: Es gibt übereinstimmende Hinweise auf eine geringere Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2-Delta-Infektionen, einschliesslich asymptomatischer Infektionen. Die Wirksamkeit gegen Infektion des Impfstoffs von Pfizer/BioNtech ist laut Daten aus Israel bei 39% (95% UI: 9-59%)[12]; und laut Daten aus Schottland bei 79% (95% UI: 75-82%)[13]. In einem Bericht der REACT-Studie wird die Impfwirksamkeit gegen Infektionen von 49% (95% UI: 22-67%) errechnet[14] (hierbei wurde nicht zwischen den in England verwendeten Impfstoffen unterschieden). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mRNA-Impfstoffe das Risiko, sich mit der Delta-Variante zu infizieren, schätzungsweise halbieren.

Symptomatische Infektion: Der Impfschutz gegen symptomatische Infektionen mit Delta ist, verglichen mit Alpha, reduziert. Gemäss einem Bericht von Public Health England[15] ist die Wirksamkeit von 89% (95% UI: 87-90%) gegen Alpha auf 79% (95% UI: 78-80%) gegen Delta gesunken (siehe auch[16],[17]; Pfizer/BioNtech). Aus kanadischen Daten ergibt sich eine Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen mit Delta von 85% (95% UI: 78-89%)[18] (Pfizer/BioNtech und Moderna). Eine neue Studie aus Kalifornien[19], schätzt die Wirksamkeit des Impfstoffs von Moderna gegen Infektionen mit Delta auf 87% (95% UI: 84-89%), gegen Infektion mit Alpha auf 98% (95% UI: 97-99%).  Gemäss dieser Studie fiel die Wirksamkeit gegen Delta nach fünf Monaten auf 80% (95% UI: 70-87%). Studien aus Israel[20] schätzen eine Wirksamkeit von nur 40% (95% UI: 9-61%). Mehrere Faktoren könnten die niedrige Wirksamkeit der Impfung gegen Delta in Israel erklären: dort ist schon mehr Zeit als in anderen Ländern seit der Impfung vergangen; der Abstand zwischen den beiden Impfdosen war minimal (3 Wochen); und es wurde nur der Impfstoff von Pfizer/BioNtech verabreicht, der etwas weniger wirksam zu sein scheint als der von Moderna.

Schwere Erkrankung / Hospitalisierung: Der Impfschutz gegen schwere Erkrankung ist auch für die Delta-Variante hoch. Die Wirksamkeit liegt bei ungefähr 96% (95% UI: 91-98%) basierend auf Daten aus Grossbritannien[21],[22], und 88% (95% UI: 78,9-93,2%) basierend auf Daten aus Israel[23]. Diese Schätzungen beziehen sich auf den Schutz den Geimpfte gegenüber Ungeimpften haben und sind nicht für die verschiedenen Impfstoffe, die in diesen Ländern verwendet werden, aufgelöst. Gemäss einem neuen Preprint[24] basierend auf Daten aus Kalifornien schützt der Impfstoff von Moderna zu 98% (95% UI: 93-99%) vor einer Hospitalisation nach einer Infektion mit der Delta-Variante. Gemäss einem Preprint aus Israel[25] und den Analysen von Public Health England[26] scheint der Schutz vor schweren Erkrankungen über die Zeit abzufallen. Zusammengenommen bedeuten diese Daten aber, dass momentan rund 9 von 10 Hospitalisationen durch eine vollständige Impfung verhindert werden können.

Transmission: Die Impfung verhindert die Weiterverbreitung des Virus durch mindestens zwei Mechanismen: erstens durch die Verringerung der symptomatischen und asymptomatischen Infektionen und damit der Zahl der infizierten Personen (siehe oben); und zweitens durch die Verringerung der Weiterverbreitung durch diejenigen, die sich trotz Impfung infizieren. Tatsächlich überträgt eine geimpfte Person das Virus selbst bei einer Infektion seltener als eine nicht geimpfte Person. Ein neuer Preprint[27] beschreibt eine Studie, die schätzt, dass das Übertragungsrisiko bei einer Durchbruchsinfektion mit der Delta-Variante nach zwei Injektionen des mRNA-Impfstoffs von Pfizer/BioNtech um etwa 2/3 geringer ist als bei Ungeimpften. Die genauen Gründe für diesen Schutz sind nicht bekannt, obwohl er durch eine kürzere infektiöse Phase[28] oder durch eine geringere Infektiosität des Virus bei geimpften Personen[29] erklärt werden könnte.

Hinweise:

[1] https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/covid-19-rapid-risk-assessment-16th-update-september-2021.pdf , Seite 17, Figur 9

[2] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.

[3] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/trends: Aufgrund von Melderverzögerungen werden die letzten 3 respektive 5 Tage für bestätigte Fälle und Hospitalisationen/Todesfälle nicht berücksichtigt.

[4] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/, Dashboard Time Series

[5] https://icumonitoring.ch

[6] https://www.covid19.admin.ch

[7] https://cov-spectrum.ethz.ch/

[8] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/993358/s1288_Warwick_RoadMap_Step_4.pdf

[9] https://www.thelancet.com/journals/laninf/article/PIIS1473-3099(21)00475-8/fulltext

[10] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01358-1/fulltext

[11] https://doi.org/10.1101/2021.07.05.21260050

[12] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[13] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01358-1/fulltext

[14] https://spiral.imperial.ac.uk/bitstream/10044/1/90800/2/react1_r13_final_preprint_final.pdf

[15] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1010472/Vaccine_surveillance_report_-_week_32.pdf

[16] https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2108891

[17] https://doi.org/10.1101/2021.07.05.21260050

[18] https://www.alberta.ca/stats/covid-19-alberta-statistics.htm#vaccine-outcomes

[19] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.09.29.21264199v1.full.pdf

[20] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[21] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1010472/Vaccine_surveillance_report_-_week_32.pdf

[22] https://khub.net/web/phe-national/public-library/-/document_library/v2WsRK3ZlEig/view_file/479607329?_com_liferay_document_library_web_portlet_DLPortlet_INSTANCE_v2WsRK3ZlEig_redirect=https%3A%2F%2Fkhub.net%3A443%2Fweb%2Fphe-national%2Fpublic-library%2F-%2Fdocument_library%2Fv2WsRK3ZlEig%2Fview%2F479607266

[23] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[24] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.09.29.21264199v1.full.pdf

[25] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.08.24.21262423v1

[26] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1017309/S1362_PHE_duration_of_protection_of_COVID-19_vaccines_against_clinical_disease.pdf

[27] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.09.28.21264260v1.full.pdf

[28] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.28.21261295v1.full.pdf

[29] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.08.20.21262158v1

Da die Swiss National COVID-19 Science Task Force per 31. März 2022 aufgelöst wurde, werden künftig keine weiteren epidemiologischen Lagebeurteilungen, wissenschaftlichen Updates oder Policy Briefs publiziert. Alle bisherigen Publikationen, Informationen und Seiten der Science Task Force stehen weiterhin auf dieser Website zur Verfügung.