ETH Hönggerberg, Werner, fotografiert am Montag (13.11.2017) Bild: Christoph Kaminski, kellenbergerkaminski

Epidemiologische Lagebeurteilung, 12 April 2021

Allgemeine Situation

In der Schweiz zirkulieren verschiedene Stämme von SARS-CoV-2 unter welchen B.1.1.7 dominiert. Die allgemeinen epidemiologischen Parameter – Fallzahlen, Hospitalisationen, Intensivstation-Belegung, Todesfälle – geben eine Gesamtsicht, ohne zwischen einzelnen Stämmen zu unterscheiden. Insgesamt deuten all diese Indikatoren auf einen Anstieg der Epidemie in den letzten Wochen hin. Eine genaue Quantifizierung ist momentan schwierig durch das veränderte Testverhalten über Ostern und der fortschreitenden Impfungen v.a. in der Altersgruppe 75+. Eine steigende Epidemie wird bei teils strengeren Massnahmen im benachbarten Ausland beobachtet.

Dynamik

Basierend auf den aktuellen Daten schätzen wir ein exponentielles Wachstum der SARS-CoV-2 Epidemie. Der 7-Tageschnitt der schweizweiten Reproduktionszahl ist bei 1.11 (0.95 – 1.26); dies reflektiert das Infektionsgeschehen vom 27.03.-02.04.2021. Ein Trend zu dieser Dynamik kann in allen Grossregionen der Schweiz mit Ausnahme des Tessins beobachtet werden1.

Tagesbasierte Schätzungen der effektiven Reproduktionszahl Re für die Schweiz betragen2:

  • 1,14 (95% Unsicherheitsintervall, UI: 0,99-1,3) aufgrund der bestätigten Fälle, per 02.04.2021.
  • 0,99 (95% UI: 0,84-1,14) aufgrund der Hospitalisationen, per 28.03.2021. Zum Vergleich aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,03 (95% UI: 0,89-1,17) geschätzt.
  • 1,16 (95% UI: 0,79-1,59) aufgrund der Todesfälle, per 21.03.2021. Zum Vergleich aufgrund der Hospitalisationen wird Re für den selben Tag auf 1,07 (95% UI: 0,93-1,22) geschätzt. Aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,08 (95% UI: 0,96-1,2) geschätzt.

Wegen Meldeverzögerungen und Fluktuationen in den Daten könnten die Schätzwerte nachkorrigiert werden. Wir weisen darauf hin dass die Re Werte das Infektionsgeschehen vor mind. 10 Tagen (für Fallzahlen) bis 23 Tage (für Todesfälle) widerspiegelt aufgrund der Verzögerung von Infektion und Eintreten eines Ereignisses.

Eine Veränderung der Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todesfällen stratifiziert nach Alter kann auf unserem Dashboard verfolgt werden3. Wir sehen – wie durch den Effekt der Impfungen erwartet – eine verlangsamte Dynamik in der Altersgruppe über 75 bei den Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todesfällen im Vergleich zu den jüngeren Altersgruppen. Während die Altersgruppe 75+ in der 2. Welle rund 50% der Hospitalisierungen ausgemacht hat, sind es inzwischen noch rund 25%. Dagegen sind die Hospitalisierungen bei den unter 65-jährigen von unter 30% in der 2. Welle auf nun über 50% gestiegen. Seit Anfang März steigen die Spital-Eintritte bei den unter 75-jährigen an. Bei den über 75-jährigen ist ein Wiederanstieg Ende März zu beobachten. Durch fortschreitende Impfungen der Risikogruppen erwarten wir dass in den nächsten Wochen die Reproduktionszahl basierend auf Hospitalisierungen und Todesfällen die Transmissionsdynamik unterschätzt.

Parallel bestimmen wir die Verdopplungs- bzw. Halbwertszeiten der bestätigten Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle über die letzten 14 Tage4. Die bestätigten Fälle änderten sich um 7% (UI: 32% bis -13%) pro Woche, die Hospitalisationen um -1% (UI: 11% bis -12%) und die Todesfälle um 16% (UI: 57% bis -14%). Diese Werte spiegeln das Infektionsgeschehen vor mehreren Wochen wider.

Absolute Zahlen

Die kumulierte Anzahl der bestätigten Fälle über die letzten 14 Tage liegt bei 300 pro 100’000 Einwohner. Die Positivität liegt bei 7,6% (Stand 09.04.2021, das ist der letzte Tag für welchen nur noch wenige Nachmeldungen erwartet werden).

Die Anzahl der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen lag über die letzten 14 Tage im Bereich von 166-2075 Personen (die Änderung war 14% (UI: 23% bis 5%) pro Woche).

Die Zahl der täglichen laborbestätigten Todesfälle über die letzten 14 Tage war zwischen 4 und 136. Seit dem 1. Oktober 2020 weist das Bundesamt für Gesundheit 7’993 laborbestätigte Todesfälle aus7. Die Kantone meldeten in dieser Zeit 8’509 Todesfälle8. Die Sterblichkeitsstatistik vom Bundesamt für Statistik zeigt zwischen Kalenderwoche 43 im Jahr 2020 und Kalenderwoche 3 im Jahr 2021 eine Übersterblichkeit in der Altersgruppe 65 Jahre und älter9. Insgesamt sind rund 8’400 zusätzliche Todesfälle in diesem Zeitraum im Vergleich zu Vorjahren verzeichnet.

Neue Varianten

In der Schweiz sind die ursprünglich in Grossbritannien und Südafrika beschriebenen Varianten B.1.1.7 und B.1.351 erstmals in Kalenderwoche 51 des Jahres 2020 identifiziert worden. Die ursprünglich in Brasilien beschriebene P.1 Variante wurde erstmals in Kalenderwoche 6 des Jahres 2021 in der Schweiz identifiziert. B.1.1.7 ist inzwischen die dominante Virusvariante und die Epidemie in der Schweiz ist eine B.1.1.7 Epidemie10,11. B.1.351 und P.1 treten mit weniger als 1% auf.

B.1.1.7 hat eine erhöhte Übertragungsrate. Dies hat dazu geführt dass B.1.1.7 nun dominiert. Untersuchungen in Grossbritannien wiesen Ende 2020 darauf hin, dass B.1.1.7 eine deutlich höhere Übertragungsrate hat als die bislang bekannten Stämme von SARS-CoV-212. Die genetische Charakterisierung von Zufallsstichproben aus positiv getesteten Menschen von Testlabors der Schweiz, sowie die systematische genetische Charakterisierung von Proben im Referenzlabor in Genf, erlaubt diese erhöhte Übertragungsrate auch basierend auf schweizer Daten zu bestätigen13,14 (43-52% basierend auf 15 und 42-60% basierend auf 16).

Das Risiko eines schweren Verlaufs aufgrund von Infektion mit B.1.1.7 wird in mehreren Studien beobachtet. Eine Studie17 aus Grossbritannien deutet darauf hin, dass die Sterblichkeit bei einer Infektion mit B.1.1.7 um 50% erhöht ist über alle Altersklassen hinweg. Diese erhöhte Gefährlichkeit von B.1.1.7 wird gestützt durch weitere Studien aus Grossbritannien18,19. Ergebnisse einer Studie20 aus Dänemark deuten darauf hin, dass das Risiko einer Hospitalisierung bei Infektion mit B.1.1.7 erhöht ist. Eine neue Studie sieht keine erhöhte Sterblichkeit, untersucht jedoch nur hospitalisierte Personen. In einer weiteren Studie bei der Daten einer «COVID symptom study App» ausgewertet wurden, wurde mit Ausbreitung von B.1.1.7 keine Verschiebung zu schwereren Verläufen beobachtet.

In den schweizer Daten sehen wir einen Trend hin zu einem erhöhten Risiko einer Hospitalisierung wenn ein Patient mit B.1.1.7 infiziert ist. Dementsprechend sind mit Ausbreitung von B.1.1.7 die Wahrscheinlichkeiten einer Hospitalisierung bei positivem Testergebnis gestiegen. Eine 55-64 jährige positiv getestete Person hatte beispielsweise zum 31.12.2020 (als B.1.1.7 noch wenig verbreitet war) ein Risiko von 4.3% (28-Tages Mittel) eines Spitaleintritts. Zum 31.3.2021 (als B.1.1.7 dominant war), war das Risiko bei 6.75%[3]. Die anderen Altersgruppen über 35 entwickelten sich ähnlich (in den jüngeren Altersklassen sind die absoluten Zahlen zu klein für belastbare Aussagen). Die Todesfall-Zahlen aufgrund von B.1.1.7 für die Schweiz sind zu klein als dass wir für die Schweiz eine Aussage treffen könnten.

Es wird erwartet dass die in der Schweiz momentan verwendeten mRNA-Impfstoffe auch gegen diese drei Varianten wirken21.

Basierend auf den Daten aus der genetischen Charakterisierung können wir die Veränderung der absoluten Fallzahlen, welche von B.1.1.7 verursacht werden, abschätzen. Seit Anfang Januar ist diese absolute Zahl kontinuierlich gestiegen während die anderen Varianten abgenommen haben22. Die Gesamtzahlen haben bis Mitte Februar abgenommen. Inzwischen ist B.1.1.7 dominant und die Gesamtzahlen steigen wieder. Alle unsere Modellierungen deuten darauf hin, dass die momentane Anzahl von Personen mit Immunität aufgrund von Impfung oder durchgemachter Infektion über die nächsten Wochen noch deutlich zu tief sein wird um diesen steigenden Trend zu bremsen. Man erwartet zudem, dass jegliche Zunahme von Kontakten oder Mobilität zu einer weiteren Zunahme der Ansteckungen führen würde.

Hinweise:

[1] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.

[2] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.

[3] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/, Dashboard Time Series

[4] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/trends: Aufgrund von Melderverzögerungen werden die letzten 3 respektive 5 Tage für bestätigte Fälle und Hospitalisationen/Todesfälle nicht berücksichtigt.

[5] https://icumonitoring.ch

[6] https://www.covid19.admin.ch

[7] https://www.covid19.admin.ch

[8] https://github.com/openZH/covid_19 und https://github.com/daenuprobst/covid19-cases-switzerland

[9] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/sterblichkeit-todesursachen.html

[10] https://cevo-public.github.io/Quantification-of-the-spread-of-a-SARS-CoV-2-variant/

[11] https://ispmbern.github.io/covid-19/variants/

[12] https://sciencetaskforce.ch/wissenschaftliches-update-09-februar-2021/

[13] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.03.05.21252520v2

[13] https://ispmbern.github.io/covid-19/variants/

[15] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.03.05.21252520v2

[16] https://ispmbern.github.io/covid-19/variants/

[17] https://www.nature.com/articles/s41586-021-03426-1

[18] https://www.bmj.com/content/bmj/372/bmj.n579.full.pdf

[19] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.03.04.21252528v2.full.pdf

[20] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3792894

[21] https://sciencetaskforce.ch/wissenschaftliches-update-07-april-2021/

[22] https://cevo-public.github.io/Quantification-of-the-spread-of-a-SARS-CoV-2-variant/

Da die Swiss National COVID-19 Science Task Force per 31. März 2022 aufgelöst wurde, werden künftig keine weiteren epidemiologischen Lagebeurteilungen, wissenschaftlichen Updates oder Policy Briefs publiziert. Alle bisherigen Publikationen, Informationen und Seiten der Science Task Force stehen weiterhin auf dieser Website zur Verfügung.