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The Swiss National COVID-19 Science Task Force was dissolved on 31 March 2022.

It has been replaced by the Scientific Advisory Panel to ensure that the cantons and the Confederation can continue to benefit from scientific expertise in the context of the SARS-CoV-2 pandemic.

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Scientific update of 24 August 2021

Original text in German

Zusammenfassung

Innerhalb der vergangenen vier Wochen hat sich die Anzahl Hospitalisationsbedürftiger COVID-19 Patient*innen rund 3 mal verdoppelt (dh. verachtfacht). Zwei weitere Verdopplungen würden bedeuten, dass wir eine ähnliche Belastung der Spitäler und des Gesundheitspersonals erreichen würden wie zum Höhepunkt der zweiten Welle. Die Intensivbettenbelegung ist momentan auf einem Niveau wie Ende Oktober 2020.

Rund 90% der hospitalisierten COVID-19 Patienten sind nicht vollständig geimpft. Darunter sind viele Reiserückkehrer. Das Durchschnittsalter beträgt 54 Jahre.

Die Infektionsdynamik ist insgesamt zunehmend mit relativ starker Fluktuation in den vergangenen Wochen. Die Zahl der Hospitalisierungen und der Einweisungen auf Intensivstationen nimmt deutlich zu. In den letzten Tagen hat die Zahl der Neuinfektionen weniger stark zugenommen als in den Wochen zuvor. Ein Grund könnte sein, dass die Ferienrückkehrer bereits grossteils zurück sind. Der Start der Schulen und der kommende Herbst könnte die Zunahme der Zahlen wieder beschleunigen. Weiter wird die Dynamik vom Verhalten der Bevölkerung beeinflusst.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass ein relevantes kurzfristiges (innert Wochen) und mittelfristiges (innert 2-3 Monaten) Risiko für eine Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen besteht, mit relativ grossen Unsicherheiten hinsichtlich der Dynamik.

1. Epidemiologische Situation

Allgemeine Situation

In den letzten Monaten waren in der Schweiz verschiedene Stämme von SARS-CoV-2 im Umlauf. Die Delta-Variante (B.1.617.2) dominiert inzwischen bei weitem (>90 % der Fälle seit Mitte Juli 2021). Die allgemeinen epidemiologischen Parameter – Zahl der Fälle, Krankenhausaufenthalte, Belegung von Intensivstationen, Todesfälle – geben einen Überblick, ohne dass zwischen den verschiedenen Stämmen unterschieden wird. Seit Anfang Juli 2021 ist ein stetiger Anstieg der Epidemie zu verzeichnen. In den letzten Tagen hat sich der Anstieg verlangsamt.

Dynamik

Basierend auf den aktuellen Daten schätzen wir, dass die SARS-CoV-2 Epidemie seit Anfang Juli 2021 kontinuierlich ansteigt. Der 7-Tageschnitt der schweizweiten Reproduktionszahl ist bei 1,26 (95% UI:1,12-1,39); dies reflektiert das Infektionsgeschehen vom 07.08. – 13.08.2021[1].

Tagesbasierte Schätzungen der effektiven Reproduktionszahl Re für die Schweiz betragen[2]:

  • 1,22 (95% Unsicherheitsintervall, UI: 1,09-1,35) aufgrund der bestätigten Fälle, per 13.08.2021.
  • 1,42 (95% UI: 1,24-1,61) aufgrund der Hospitalisationen, per 07.08.2021. Zum Vergleich aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,38 (95% UI: 1,24-1,52) geschätzt.
  • 1,64 (95% UI: 0,77-2,84) aufgrund der Todesfälle, per 01.08.2021. Zum Vergleich aufgrund der Hospitalisationen wird Re für den selben Tag auf 1,52 (95% UI: 1,28-1,78) geschätzt. Aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,47 (95% UI: 1,32-1,61) geschätzt.

Wegen Meldeverzögerungen und Fluktuationen in den Daten könnten die Schätzwerte nachkorrigiert werden. Wir weisen darauf hin, dass die Re Werte das Infektionsgeschehen nur verzögert widerspiegeln, weil eine gewisse Zeit vergeht zwischen der Infektion und dem Testresultat oder dem etwaigen Tod. Für Re Werte, die auf Fallzahlen basieren, beträgt diese Verzögerung mindestens 10 Tage, für Todesfälle bis zu 23 Tagen.

Parallel bestimmen wir die Änderungsraten der bestätigten Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle über die letzten 14 Tage[3]. Die bestätigten Fälle stiegen um 31% (95% UI: 53% bis 12%) pro Woche, die Hospitalisationen um 87% (95% UI: 127% bis 55%) und die Todesfälle um 54% (95% UI: 298% bis -39%). Diese Werte spiegeln das Infektionsgeschehen vor mehreren Wochen wider.

Eine Veränderung der Fallzahlen, Hospitalisierungen und Todesfällen stratifiziert nach Alter kann auf unserem Dashboard verfolgt werden[4]. Wir beobachten einen statistisch signifikanten Anstieg der Zahl der Fälle in allen Altersgruppen, ausser in den Gruppen der 16 bis 24-Jährigen und über 75-Jährigen. Hospitalisierungen stiegen in allen Altersgruppen über 25 Jahren vom 5. bis 17. August 2021 signifikant an.

Absolute Zahlen

Die kumulierte Anzahl der bestätigten Fälle über die letzten 14 Tage liegt bei 358 pro 100’000 Einwohner. Die Positivität liegt bei 8,8% (Stand 20.08.2021, das ist der letzte Tag für welchen nur noch wenige Nachmeldungen erwartet werden).

Die Anzahl der COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen lag von 11. bis 23. August 2021 im Bereich von 79 – 214 [5] Personen (die Änderung war 97% (95% UI: 118% bis 78%) pro Woche).

Die Zahl der täglichen laborbestätigten Todesfälle über die letzten 14 Tage war zwischen 1 und 4[6].

Neue Varianten

Seit Kalenderwoche 26 (Ende Juni/Anfang Juli 2021) ist Delta (B.1.617.2) die dominante Variante in der Schweiz. Diese ursprünglich in Indien beschriebene Variante hatte in der Kalenderwoche 19 eine Häufigkeit von 1%, in der Kalenderwoche 24 eine Häufigkeit von 24%, in der Kalenderwoche 30 eine Häufigkeit von 97% und in der Kalenderwoche 32 eine Häufigkeit von 99% unter den sequenzierten Fällen[7]. Wegen Verzögerungen, mit denen die Sequenzen erfasst werden, können sich diese Häufigkeiten, vor allem in Kalenderwoche 32, noch ändern. Aus diesem Anstieg der Häufigkeit von Delta kann man einen Transmissionsvorteil gegenüber Alpha von 68-75% berechnen[8].

Die früher in der Schweiz beobachteten SARS-CoV-2-Varianten, darunter die von März bis Juni 2021 dominierende Alpha-Variante, aber auch die Beta- und Gamma-Varianten, die immer selten waren, haben zusammengenommen eine Häufigkeit von <2% [25].

Delta dominiert mittlerweile die Epidemie in vielen Ländern, darunter Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Deutschland, Italien und Portugal. Der Übertragungsvorteil von Delta gegenüber Alpha wurde auf 56% (95% UI: 34%-81%) geschätzt[9].

Delta scheint schwerere Verläufe zu verursachen als die zuvor in der Schweiz dominierenden Stämme. Die Daten aus Schottland[10] deuten darauf hin, dass eine Infektion mit Delta rund doppelt so häufig zur Hospitalisierung führt wie eine Infektion mit Alpha (hazard ratio 1,39-2,47). Daten aus Kanada zeigen einen Anstieg des Hospitalisierungsrisikos um 108% (95% UI: 80-138%) gegenüber den im Jahr 2020 zirkulierenden Stämmen[11].

Wirksamkeit der Impfung gegen Delta

Studien welche die Wirksamkeit von mRNA Impfstoffen gegen eine Infektion mit Delta (einschliesslich asymptomatischer) quantifizieren sind am Laufen. Die Wirksamkeit gegen Infektion des Impfstoffs von Pfizer/BioNtech ist laut Daten aus Israel bei 39% (95% UI: 9-59%) [12]; und laut Daten aus Schottland bei 79% (95% UI: 75-82%) [13]. In einem neuen Bericht der REACT-Studie wird die Impfwirksamkeit gegen Infektionen von 49% (95% UI: 22-67%) errechnet[14] (hierbei wurde nicht zwischen den in England verwendeten Impfstoffen unterschieden).

Der Impfschutz gegen symptomatische Infektionen mit Delta ist reduziert. Gemäss einem Bericht von Public Health England[15] ist die Wirksamkeit von 89% (95% UI: 87-90%) gegen Alpha auf 79% (95% UI: 78-80%) gegen Delta gesunken (siehe auch [16], [17]; Pfizer/BioNtech). Aus kanadischen Daten ergibt sich eine Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen mit Delta von 85% (95% UI: 78-89%) [18] (Pfizer/BioNtech und Moderna). Studien aus Israe[19] schätzen eine Wirksamkeit von nur 40,5% (95% UI: 8,7-61,2%). Bisher ist unklar, warum die Wirksamkeit in Israel tiefer zu sein scheint als in anderen Ländern: Nachlassende Impfwirkung bei früh geimpften Personen in Israel, unterschiedliche Impfstoffe (in Kanada neben Pfizer/BioNtech auch Moderna) oder das prolongierte Zeitintervall zwischen den beiden Impfungen (insbesondere in UK) könnten eine Rolle spielen. Wichtig ist jedoch, dass eine Wirksamkeit von 40% gegen Infektion immer noch bedeutet, dass 4 in 10 Infektionen verhindert werden können und dass die Impfung damit auch die Übertragungsdynamik verlangsamt.

Die Impfung scheint die Transmission, die von infizierten Geimpften ausgeht, zu reduzieren (aufgrund von kürzerer infektiöser Phase [20], [21] und milderer Symptomatik [22]), das genaue Ausmass der Reduktion kann noch nicht genau beziffert werden. Während ein neuer Bericht des CDC[23] zeigt, dass die Viruslast von Delta in Geimpften ähnlich hoch ist wie in Ungeimpften, zeigen die Daten der REACT-Studie aus England[24], dass Geimpfte niedrigere Viruslasten haben. Zeitlich aufgelöste Daten aus Singapur[21] legen nahe, dass die Viruslast bei Geimpften auf einem ähnlich hohen Level beginnt wie bei Ungeimpften aber dann schneller abfällt. Daten aus den Niederlanden zeigen, dass Geimpfte, trotz ähnlicher Viruslasten, eine niedrigere Wahrscheinlichkeit haben infektiöse Viren in sich zu tragen. Da die Viruslast ein wichtiges Korrelat der Übertragungsfähigkeit ist, deuten diese Daten in jedem Fall darauf hin, dass Geimpfte, die mit Delta infiziert sind, das Virus übertragen können wenn auch weniger häufig.

Der Impfschutz gegen schwere Erkrankung ist nach wie vor hoch. Die Wirksamkeit liegt bei ungefähr 96% (95% UI: 91-98%) basierend auf Daten aus Grossbritannien[25],[26] und 88% (95% UI: 78,9-93,2%) basierend auf Daten aus Israel[27]. (Diese Schätzungen beziehen sich auf den Schutz den Geimpfte gegenüber Ungeimpften haben und sind nicht für die verschiedenen Impfstoffe, die in diesen Ländern verwendet werden, aufgelöst.) Das bedeutet, dass rund 9 von 10 Hospitalisationen durch eine vollständige Impfung verhindert werden können.

2. Situation in den Spitälern

Innerhalb der vergangenen vier Wochen hat sich die Anzahl Hospitalisationsbedürftiger COVID-19 Patient*innen rund 3 mal verdoppelt (d.h. verachtfacht; [28], [29]). Die aktuelle Belastung mit rund 60-70 [30] neuen Einweisungen pro Tag auf die Normalstationen und rund 200 Patienten auf den Intensivstationen (siehe Abschnitt 1) kann noch ohne Einschränkung der Behandlung anderer Patienten bewältigt werden. Der schnelle Anstieg des für COVID-19-Patienten notwendigen Platz- und Personalbedarfs hat dennoch zu Folge, dass innerhalb der Spitäler kurzfristig Personalressourcen für die aufwändige Behandlung von COVID-19 Patienten durch Umlagerung und Einschränkung anderer Aktivitäten bereitgestellt werden müssen. Die Belastung für die Spitäler steigt durch COVID-19 rasch und spürbar an.

Momentan ist die Zahl der hospitalisierten Personen noch 2 Verdopplungen vom Maximum der zweiten Welle entfernt, als in der Schweiz breitflächig elektive Eingriffe verschoben werden mussten[31]. Wenn eine Trendwende erreicht ist und die Zahl der neuen Infektionen wieder sinkt, dann steigen die Hospitalisierungen aufgrund der Verzögerung zwischen Ansteckung und allfälliger Hospitalisierung noch rund 2.5-3 Wochen weiter an[32]. Dies bedeutet, dass Interventionen erst mit einer Verzögerung von 2.5-3 Wochen zu einer Entlastung in den Spitälern führen werden.

Letztes Jahr zur gleichen Zeit sind die Hospitalisierungen noch nicht gestiegen. In 2020 kam es erst Anfang Oktober zu einem vergleichbaren Anstieg der Hospitalisationen (Abbildung 1). Die Intensivbettenbelegung ist momentan auf einem Niveau wie Ende Oktober 2020 (Abbildung 2).

Abbildung 1: Zahl der neuen Hospitalisierungen pro Tag in 2021 (rot durchgezogen) im Vergleich zum letzten Jahr 2020 (rot gestrichelt). Die diesjährigen Daten sind unterteilt in vollständig geimpfte Patienten (die zwei Dosen erhalten haben; dunkelgrün), teilweise geimpfte Patienten (die mindestens eine Dosis erhalten haben; hellgrün), ungeimpfte Patienten (orange) und Patienten mit unbekanntem Impfstatus (grau). Daten von BAG (23. August) wobei die letzten 9 Tage (ab 14.8.) wegen zu erwartenden Nachmeldungen nicht gezeigt werden.

Abbildung 2. Intensivbettenbelegung mit COVID19 Patienten (grün) und Anteil der hospitalisierten COVID19 Patienten welche auf der Intensivstation behandelt werden (rot). Data source described in[33] and figures processed by Health Geography and Policy Group, ETH Zürich.

 

Gemäss einer Studie aus Kanada besteht bei einer Infektion mit der Virusvariante Delta ein 2- bis 4-fach erhöhtes Risiko für eine Behandlung auf der Intensivstation im Vergleich zu SARS-CoV-2 Varianten aus 2020 [34]. Das Risiko einer intensiv-medizinschen Behandlung bei Delta-Infektion ist auch höher im Vergleich zu Virusvarianten mit einer N501Y Mutation, also insbesondere Alpha[35]. Die aktuelle Dynamik in der Schweiz mit einem höheren Prozentsatz intensivpflichtiger Patienten unter allen Hospitalisierten folgt diesem Trend (Abbildung 2).

Aktuell benötigt ein sehr hoher Anteil von mehr als 25% der hospitalisierten Patienten intensivmedizinische Unterstützung. In der zweiten Welle im Oktober 2020 lag dieser Prozentsatz noch bei rund 17% (Abbildung 2) und ist mit der Ausbreitung der Varianten Alpha und Delta gestiegen. Inzwischen sind gewisse Spitäler zur Entlastung der Intensivstationen dazu übergegangen, auf den COVID-Normal-Stationen sogenannte nicht-invasive Beatmungen (NIV) mit Spezialmasken, Beatmungsdruckregulation (sog. CPAP –  continuous positive airway pressure) und sehr hohem O2-Durchfluss durchzuführen, welche normalerweise aufgrund der hohen Überwachungsintensität den Intensiv- oder ‘Intermediate care’-Stationen vorbehalten wären.

Wir erwarten, basierend auf den Erfahrungen der 2. Welle und dem erhöhten Risiko einer Intensivbehandlung bei Delta-Infektion, dass die Behandlungskapazitäten auf den Intensivstationen als Erstes die Grenze der Belastungsfähigkeit des Gesundheitssystems markieren werden. Wir erwarten weiter, dass nach einer epidemiologischen Trendumkehr der Neuansteckungen (das heisst, einen Übergang zu einem Rückgang der Ansteckungen mit R-Wert<1) die COVID-19-bedingte Intensivbettenbelegung noch mind. 2.5-3 Wochen steigen wird. Nachdem COVID-19-Patienten in der 3. Welle durchschnittlich 15 Tage intensivmedizinische Unterstützung benötigten (RISC-19-ICU, pers. Kommunikation) erwarten wir auch danach nur einen langsamen Rückgang der Intensivbettenbelegung.

Hospitalisationsbedürftige COVID-19 Patienten sind jünger (median 54 Jahre; IQR 40-66 Jahre) und zu >90% nicht vollständig geimpft und rund 30% haben keinerlei Vorerkrankungen basierend auf Daten vom klinischen Meldeformular t. Aktuell werden täglich ca. 60-70 Personen hospitalisiert, also rund ein Drittel des Maximums der 2. Pandemiewelle in der Schweiz. Momentan sind rund 90% der hospitalisierten Personen nicht vollständig geimpft (Abbildung 1), dh. es handelt sich um eine ‘Epidemie der Ungeimpften’. Nach Altersgruppen aufgeschlüsselt (Abbildung 3) gibt es absolut die meisten Fälle in den 40-59-jährigen. Aufgrund der niedrigeren Durchimpfung tragen 20-39-jährige fast gleich stark zur Belastung der Spitäler bei wie 60-79-jährige. Nur bei den >80-jährigen mit einer Impfrate von ca 82% sind Geimpfte (n=41) und Ungeimpfte (n=52) absolut gesehen ähnlich stark betroffen. Dies ist zu erwarten: je höher die Durchimpfung desto höher der Anteil doppelt Geimpfter im Spital. Bei 100% Durchimpfung wären 100% der Hospitalisierten geimpft. Die Zahlen bei den>80-jährigen ergeben jedoch weiter dass die Wirksamkeit der Impfung vor Spitalaufenthalt knapp 90% ist.

Abbildung 3: Zahl der neuen Hospitalisierungen pro Tag in 2021 (blau) im Vergleich zum letzten Jahr 2020 (rot) stratifiziert nach Alter. Für Details siehe Legende von Abbildung 1.

 

Mit der Delta-Variante beobachten wir eine Zunahme von schweren COVID-19 Erkrankungen bei 20-50-jährigen Personen. Abbildung 4 zeigt, dass sich durch Delta das Risiko einer ungeimpften 35-45-jährigen Person, wegen COVID-19 hospitalisiert zu werden seit Herbst 2020 verdreifacht hat. Momentan liegt das Risiko bei über 2%. In der Annahme, dass die allermeisten Personen im Laufe des kommenden Winters mit dem Virus in Kontakt kommen, stellt COVID-19 für alle ungeimpften Altersgruppen ab 30 Jahre ein sehr hohes Gesundheitsrisiko dar.

Abbildung 4: Risiko einer Hospitalisierung fuer eine postitiv getestete Person im Alter zwischen 35-44 Jahren (28-Tage Glättung; [36] – Dashboard Time Series).

 

Mehr als ein Drittel der Hospitalisierten gibt zum Zeitpunkt der möglichen Ansteckung als Aufenthaltsort ein Land in Südosteuropa an. Bei 40% der Hospitalisierten sind auf dem klinischen Meldeformular Daten zum vermuteten Ansteckungsort vorhanden. 80% der vermuteten Ansteckungsorte (gegeben diese Information liegt vor) liegt im Kosovo und in Nord-Mazedonien. Diese Länder haben momentan hohe Inzidenzen von 990 pro mio. und 463 pro mio.; Vergleich Schweiz 298 pro mio.; [37]). Es ist möglich, dass diese Menschen durch die bisherige Impfkampagne zu wenig erreicht wurden und dass die Impfrate unterdurchschnittlich ist, jedoch fehlen dazu entsprechende Daten.

Diverse Faktoren werden in den kommenden Wochen die Infektionsdynamik beeinflussen.

Faktoren, die potenziell reduzierend wirken auf Ansteckungs- und Hospitalisationsraten:

Rund 40% der hospitalisierten Personen waren zuvor im Ausland und sind Reiserückkehrer (Abbildung 5). Mit dem Ende der Sommerferien in allen Kantonen sollte dieser externe Zufluss von Infizierten spätestens in 2 Wochen abnehmen. Gleichzeitig kann intensivierte Kontaktnachverfolgung die Ansteckungsdynamik bremsen. Im mittelfristigen Pandemieverlauf von 8-12 Wochen wird jeglicher Impffortschritt entscheidend dazu beitragen, Ansteckungen und Hospitalisationen zu verringern. Die erneute Steigerung der Impfgeschwindigkeit hat für den Pandemieverlauf im kommenden Herbst / Winter und die Entlastung der Spitäler allerhöchste Priorität.

Abbildung 5. Anteil an hospitalisierten Patienten mit Ansteckungsort “Lokal” (blau), “Reiserückkehrer” (grün), davon >80% aus Südosteuropa und “unbekannt” (gelb).

 

Faktoren, die potenziell die Ansteckungs- und Hospitalisierungssraten erhöhen:
Durch die Wiederaufnahme des Schulunterrichts und der gleichzeitig steigenden Vereinsaktivitäten kommt es zu stark vermehrten und neu durchmischten Kontakten unter Kinder und Jugendlichen. Aufgrund der hohen Übertragbarkeit von Delta und der vergleichsweise tiefen Impfabdeckung in den jüngeren Altersklassen ist zu erwarten, dass sich die virale Aktivität noch stärker in dieser Altersgruppe bemerkbar machen wird und dass dies insgesamt eine epidemiologische Beschleunigung begünstigt. Ob die vorhandenen aber regional stark unterschiedlichen Schutzkonzepte eine genügende Bremswirkung erzeugen, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Angesichts der stark gestiegenen Inzidenz in den vergangenen 2 Monaten entspricht dies der Erwartung. Sobald auch Universitäten und andere Institutionen der höheren Bildung das akademische Jahr mit vollem Präsenzunterricht starten, ist auch dort mit einer epidemiologischen Beschleunigung zu rechnen. Generell kehren Arbeitnehmer an Arbeitsplätze zurück mit reduzierten Schutzkonzepten was auch die Zirkulation begünstigt.

Mit dem Beginn des Herbstes werden durch kühlere Temperaturen und die Änderung der Luftfeuchtigkeit Tröpfcheninfektionen begünstigt werden. Gleichzeitig finden soziale Kontakte vermehrt und über längere Zeitspannen in Innenräumen statt, was SARS-CoV-2 Übertragungen durch Aerosole verstärken wird [38], [39],[40]. Auch wenn eine genaue wissenschaftliche Quantifizierung der kumulativen Saisonalität von SARS-CoV-2 bisher nicht möglich ist, lässt uns der bisherige Pandemieverlauf in der Schweiz im Oktober/November eine signifikante epidemiologische Beschleunigung erwarten.

Die grösste Unbekannte auf die zukünftige Pandemieentwicklung ist das konkrete Verhalten der Menschen. Wie hoch ist die Bereitschaft in der Bevölkerung, nach 18 Monaten Pandemie die individuellen Hygienemassnahmen wieder konsequenter umzusetzen? Es ist unklar ob steigende Infektions- und Hospitalisierungsszahlen einen signifikanten Einfluss auf die Zahl der sozialen Kontakte, auf die dabei angewendeten grundlegenden Hygienemassnahmen und auch auf die Impfbereitschaft haben.

Zusammenfassend gibt es wissenschaftliche Unsicherheit über die Entwicklungen der Ansteckungen und Hospitalisierungen über die kommenden Wochen. Wenn nochmals zwei Verdopplungen erfolgen entspricht die Belastung des Gesundheitswesen der Situation zum Höhepunkt der zweiten Welle. Für die Herbstferien besteht die Gefahr von wiederum vielen infizierten Reiserückkehrern und eine Strategie mit Umgang von Reise Rückkehrern (Quarantäne / Tests) sollte rechtzeitig definiert und publiziert werden.

3. Ökonomische Aspekte zur Impfung

Die Wirtschaft erholt sich weiter. In der Sommerprognose vom 22. Juni 2021 prognostizierte die KOF für das BIP annualisierte Wachstumsraten von 6% und 2% für das dritte und vierte Quartal 2021 [41]. Somit decken sich die grundsätzlich positiven Erwartungen der Schweizer Unternehmen an die gesamtwirtschaftliche Lage, wie sie sich aus den KOF-Umfragen vom Juli und August ergeben, mit dieser Einschätzung der KOF zur weiteren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Schweiz. Selbst in einem pessimistischeren Szenario, bei dem unterstellt wird, dass aufgrund der Verbreitung der Delta-Variante die Corona-Fallzahlen früher und kräftiger steigen als in der Sommerprognose der KOF angenommen wurde, wird die wirtschaftliche Erholung nicht dauerhaft aufgehalten.

Im pessimistischeren Szenario, welches die KOF am 4. August 2021 publiziert hat[42], wird ein Anstieg der Fallzahlen angenommen, der eine ähnliche Grössenordnung hat wie im letzten Herbst/Winter. Es wird jedoch weiterhin davon ausgegangen, dass aufgrund der Fortschritte bei der Impfung und mit gezielten Massnahmen eine Überlastung des Gesundheitssystems abgewendet werden kann und die Politik keine allgemein einschneidenden Schutzmassnahmen beschliessen müsste.

In diesem gegenüber der KOF-Prognose vom Juni epidemiologisch negativeren Szenario würde das BIP-Wachstum in der Schweiz in diesem Jahr 3.8% (Sommerprognose vom 22.06.2021: 4.0%) betragen. Die annualisierte Quartalswachstumsraten wären dann 5% und 1% für das dritte und vierte Quartal 2021. Die im pessimistischeren Szenario angenommene deutlich stärkere Pandemiewelle führt zu einem geschätzten wirtschaftlichen Schaden von rund 1.5 Milliarden Franken. Im Vergleich zur ersten und zweiten Welle wird die Wirtschaft von den derzeit diskutierten Massnahmen zur Abschwächung dieser vierten Welle wahrscheinlich weit weniger betroffen sein. Im Gegensatz zum Vorjahr stehen derzeit nämlich vor allem Ausweitungen des Anwendungsbereichs von Covid-Zertifikaten zur Diskussion und nicht mehr Schliessungen. Eine Zertifikatspflicht bedeutet eine ungleich schwächere Einschränkung der Wirtschaftstätigkeit als eine Schliessung ganzer Branchen. Zudem haben die Unternehmen gelernt, mit Mitarbeitern im Home Office, Maskenauflagen und Distanzregeln zu arbeiten. Auf der Nachfrageseite konzentrieren sich die möglichen wirtschaftlichen Verluste auf das Gastgewerbe, Kunst und Unterhaltung, persönliche Dienstleistungen und das Gesundheitswesen. Auf der Angebotsseite wäre infolge einer Infektionswelle in allen Sektoren eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Arbeitsausfällen zu bewältigen.

Die Wirtschaft würde somit von einer höheren Durchimpfungsrate profitieren, weil sie das Risiko mindert, dass verstärkte nicht-pharmazeutische Massnahmen eingesetzt werden müssen. Zudem verursachen hohe Fallzahlen Arbeitsausfälle durch Isolation und Quarantäne, und sie führen zu vorsichtigerem Konsumentenverhalten. Auch diese wirtschaftshemmenden Entwicklungen können durch Impfen abgebremst werden.

Auch aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen liegt die Impfung der Arbeitnehmer im Interesse der meisten Arbeitgeber. Eine einfache Überschlagsrechnung macht dies deutlich. Wir stellen uns die Frage, was es in wirtschaftlicher Hinsicht kostet, alle Nicht-Geimpften und Nicht-Genesenen zu impfen, und was es kostet, sie ungeimpft zu belassen, womit sie sehr wahrscheinlich früher oder später infiziert werden würden.

Natürlich kann es auch Impfdurchbrüche geben, einzelne Ungeimpfte können eine Ansteckung vielleicht trotz Delta vermeiden, und andere Ungeimpfte werden an Long-Covid laborieren. Aber abstrahieren wir der Einfachheit halber von diesen Komplikationen.

Man muss für eine mRNA-Impfung in der Regel wegen fiebriger Müdigkeit mit ca. einem Tag Arbeitsunfähigkeit rechnen. Bei einer Ansteckung hingegen muss man mehrere Tage in Isolation. Und allenfalls werden Arbeitskollegen auch noch in Quarantäne geschickt. Kommt noch dazu, dass Impftermine planbar sind, Ansteckungen jedoch nicht. Daraus leitet sich ab, dass Impfung aus wirtschaftlicher Sicht billiger ist als Ansteckung – sogar wenn man aus Arbeitgebersicht einbezieht, dass Absenzen wegen Isolation oder Quarantäne Anrecht geben auf Krankentaggeld bzw. Erwerbsausfallsentschädigungen. Das durchschnittliche BIP pro Arbeitstätigen und Tag beträgt in der Schweiz ca. 400 Franken (s. hier). Impfen stellt also bloss schon aus der engen Sicht der zu erwartenden Arbeitsausfälle eine rentable Investition dar – auch wenn man die Ressourcen dafür noch weiter aufstocken würde. Eine breitere, volkswirtschaftliche Rechnung würde dieses Fazit gewiss noch verstärken. Denn dann würde man einbeziehen, dass Impfen das Risiko einer Spital-Überlastung vermindert, und dass breitere wirtschaftshemmende Einschränkungen (sei es spontan oder behördlich angeordnet) oder gar Schliessungen somit weniger wahrscheinlich werden. Diese Risiken sind derzeit angesichts der oben erwähnten epidemiologischen Unwägbarkeiten nicht schlüssig quantifizierbar.

Referenzen:

[1] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.

[2] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.

[3] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/trends: Aufgrund von Melderverzögerungen werden die letzten 3 respektive 5 Tage für bestätigte Fälle und Hospitalisationen/Todesfälle nicht berücksichtigt.

[4] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/, Dashboard Time Series

[5] https://icumonitoring.ch

[6] https://www.covid19.admin.ch

[7] https://cov-spectrum.ethz.ch/

[8] https://cov-spectrum.ethz.ch/

[9] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/993358/s1288_Warwick_RoadMap_Step_4.pdf

[10] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01358-1/fulltext

[11] https://doi.org/10.1101/2021.07.05.21260050

[12] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[13] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01358-1/fulltext

[14] https://spiral.imperial.ac.uk/bitstream/10044/1/90800/2/react1_r13_final_preprint_final.pdf

[15] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1010472/Vaccine_surveillance_report_-_week_32.pdf

[16] https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2108891

[17] https://doi.org/10.1101/2021.07.05.21260050

[18] https://www.alberta.ca/stats/covid-19-alberta-statistics.htm#vaccine-outcomes

[19] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[20] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.08.20.21262158v1

[21] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.28.21261295v1.full.pdf

[22] https://www.bmj.com/content/371/bmj.m4851.full

[23] https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7031e2.htm?s_cid=mm7031e2_w

[24] https://spiral.imperial.ac.uk/bitstream/10044/1/90800/2/react1_r13_final_preprint_final.pdf

[25] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1010472/Vaccine_surveillance_report_-_week_32.pdf

[26] https://khub.net/web/phe-national/public-library/-/document_library/v2WsRK3ZlEig/view_file/479607329?_com_liferay_document_library_web_portlet_DLPortlet_INSTANCE_v2WsRK3ZlEig_redirect=https%3A%2F%2Fkhub.net%3A443%2Fweb%2Fphe-national%2Fpublic-library%2F-%2Fdocument_library%2Fv2WsRK3ZlEig%2Fview%2F479607266

[27] https://www.gov.il/BlobFolder/reports/vaccine-efficacy-safety-follow-up-committee/he/files_publications_corona_two-dose-vaccination-data.pdf

[28] https://www.covid19.admin.ch/en/overview

[29] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/ Time Series

[30] https://www.covid19.admin.ch/en/epidemiologic/hosp?rel=abs

[31] https://sciencetaskforce.ch/policy-brief/folgen-der-auslastung-der-intensivstationen/

[32] https://sciencetaskforce.ch/wissenschaftliches-update-3-august-2021/

[33] https://icumonitoring.ch/

[34] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.05.21260050v2

[35] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.05.21260050v2

[36] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/

[37] https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer

[38] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32196426/

[39] https://doi.org/10.7554/eLife.65902

[40] https://sciencetaskforce.ch/en/policy-brief/the-role-of-aerosols-in-sars-cov-2-transmission/

[41] https://kof.ethz.ch/news-und-veranstaltungen/medien/medienmitteilungen/2021/06/schweizer-wirtschaft-erholt-sich-staerker-als-erwartet.html

[42] https://kof.ethz.ch/news-und-veranstaltungen/medien/medienmitteilungen/2021/08/die-pandemie-verliert-wirtschaftlich-an-schrecken-schweizer-unternehmen-schuetteln-die-corona-effekte-immer-mehr-ab.html

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The Swiss National COVID-19 Science Task Force was dissolved on 31 March 2022.

It has been replaced by the Scientific Advisory Panel to ensure that the cantons and the Confederation can continue to benefit from scientific expertise in the context of the SARS-CoV-2 pandemic.

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