Professorin am D-BSSE

Statement von Tanja Stadler, point de presse, 22. Dezember 2020

Sehr geehrte Damen und Herren

Wie Sie wissen, hat uns die Nachricht einer neuen Variante des Sars-CoV-2-Virus erreicht. Die unabhängige Wissenschafts Task Force arbeitet mit Hochdruck daran, die neuen Informationen zu sammeln, zu analysieren und zu beurteilen. Gerne informiere ich Sie über unseren aktuellen Wissensstand. Ich möchte allerdings mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen beginnen, welche es erleichtern, die aktuelle Situation einzuordnen.     

Viren mutieren ständig – einzelne Varianten entstehen sehr schnell und sie verschwinden auch wieder. Auch vom Virus, welcher die Covid19-Erkrankung auslöst, kennt die Forschung weltweit tausende von Varianten. In der Schweiz selber haben wir bis jetzt viele hunderte gefunden. Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir viele Infektionen haben, steigt damit immer auch die Anzahl der Varianten. Die Tatsache alleine, dass es Varianten von Sars-COV-2 gibt, ist also noch nicht besorgniserregend. Allerdings gibt es drei Punkte, die wir im Auge behalten müssen:

Erstens wie schnell sich die Variante verbreitet. Zweitens was die Variante für Folgen auf den Krankheitsverlauf hat. Und drittens was die Varianten für die Wirkung einer Impfung bedeutet..

Was heisst das für die aktuelle Situation?       

In Grossbritannien und in Südafrika entdeckten Forschungsteams je eine neue Variante, welche sich in den beiden Ländern sehr schnell ausbreiten. Diese Varianten sind unabhängig voneinander entstanden und haben jeweils 20-40 kleine Veränderungen – das heisst  Mutationen – im Vergleich zum ursprünglichen Virus aus Wuhan. Die beiden Varianten haben aber eine wesentliche Mutation gemeinsam. Ich möchte klar festhalten: Da es sich um ganz neue Erkenntnisse handelt, gibt es sehr Vieles, was wir über diese Varianten noch nicht wissen.

Doch es gibt Hinweise darauf, dass  diese Varianten im Vergleich zu anderen deutlich häufiger übertragen werden. Konkret heisst das, diese Varianten könnten sich wesentlich schneller ausbreiten, als die Varianten, die wir bisher kannten.  

Da wir nur für die Variante aus Grossbritannien weitere detaillierte Daten haben, beziehen sich meine folgenden Aussagen nur auf diese Variante. Bei dieser Variante gibt es momentan keine Hinweise darauf, dass diese stärkere Symptome verursacht oder zu mehr Todesfällen führt. Dies ist aber eine vorläufige Beurteilung. Selbstverständlich beobachtet das ganze Forschungsnetzwerk weltweit diese Daten sehr genau.

Wichtig ist natürlich auch die Frage, was diese Varianten für die nun bevorstehenden Impfungen bedeuten.

Es braucht weitere ausführliche Tests, um diese Frage im Detail für die jetzt greifbaren Impfstoffe zu beantworten. Britische Wissenschaftler sehen momentan kein Grund zur Sorge, dass die Impfung deutlich schlechter wirken würde.

Grundsätzlich müssen wir uns aber damit auseinandersetzen, dass es immer Varianten des Virus geben wird und Impfungen nicht jede Variante vollumfänglich abdecken können. Die Wirksamkeit von Impfungen wird durch das Variantenreichtum des Virus erschwert. Wie ich bereits vorher geschildert habe, steigt die Anzahl von Varianten mit der Anzahl der infektionen. Nebst vielen anderen wichtigen Gründen ist es also auch im Blick auf die Impfung sehr sinnvoll, die Fallzahlen weltweit aber auch in der Schweiz möglichst tief zu halten. Tiefe Fallzahlen bedeuten weniger neue Varianten. 

Meine Damen und Herren – Was heisst das für die Schweiz?

Zuerst stellt sich die Frage, ob diese Varianten bereits in der Schweiz vorhanden sind.

Wir sequenzieren in der Schweiz wöchentlich das Virus von 100-300 infizierten Menschen aus der ganzen Schweiz. In den Proben bis zum 10. Dezember haben wir die Varianten noch nicht feststellen können.

Man muss sich allerdings vor Augen halten: Bei den rund 30’000 bestätigte Fälle pro Woche, analysieren wir momentan maximal nur ein Prozent.

Die korrekte Antwort auf die Frage, ob das Virus schon in der Schweiz ist, lautet deshalb: Wir haben es bis jetzt nicht nachgewiesen. Wir müssen jedoch damit rechnen, dass in jedem zweiten Flug aus Grossbritannien eine mit der neuen Variante infizierte Person in die Schweiz gekommen ist. In der letzten Woche sind rund 90 Flüge aus Grossbritannien in der Schweiz gelandet. Daher ist es naheliegend, dass die Variante schon von mehreren Personen eingeschleppt wurde.

Wir haben in den letzten Wochen viel über die Reproduktionszahl, den R-Wert gesprochen. Dieser Wert gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Schnitt ansteckt. Es ist wichtig zu verstehen, dass drei Faktoren den R-Wert entscheidend beeinflussen.

Erstens natürlich die Massnahmen, welche getroffen werden. 

Zweitens von der Art, wie wir die Massnahmen umsetzen.

Drittens von der Beschaffenheit des Virus. 

Diesen dritten Faktor haben wir bis jetzt in der Diskussion etwas ausgeblendet, weil die Virus-Varianten, die wir bis jetzt in der Schweiz gesehen haben, sich im Bezug auf die Verbreitung nicht stark unterschieden haben. Dies ist mit der neuen Variante aus Grossbritannien nun anders.

Kolleginnen und Kollegen vom Imperial College London schätzen, dass die Variante aus Grossbritannien die Reproduktionszahl um 0.4 erhöhen könnte.  

Verbreitet sich die Variante in der Schweiz und käme es zu einem solchen Anstieg der Reproduktionszahl, was würde dies für uns bedeuten? Infektionen, welche durch diese Variante verursacht werden, würden sich jede Woche verdoppeln. Auch wenn wir zurzeit vielleicht nur wenige Fälle mit der Variante aus Grossbritannien haben, schnell könnten es mehr werden. Diese Infektionen kommen dann noch zu den sehr hohen Fallzahlen, die wir in der Schweiz bereits wegen anderen Varianten haben, hinzu.

Bei den äusserst hohen Fallzahlen und einem R-Wert, der schweizweit über 1 liegt, befinden wir uns im exponentiellen Wachstum. Daher können wir uns keine zusätzlichen, erschwerenden Faktoren, wie es diese Varianten sein könnten, leisten. Wir müssen dringend Zeit gewinnen und dafür sorgen, dass diese neue Variante nicht das Infektionsgeschehen in der Schweiz noch zusätzlich negativ beeinflusst . Drei Aspekte sind hier wichtig. Erstens können wir durch eine deutliche Reduktion unserer Kontakte die Ausbreitung verlangsamen. Zweitens ist es wichtig die Infektionsketten konsequent aufzuspüren und unterbrechen. Drittens sollten die Importe dieser Variante auf ein Minimum reduziert werden.   

Meine Damen und Herren – Varianten eines Virus’ sind kein Grund zur Panik.

Wir wissen, wie wir uns vor SARS-CoV-2 wirksam schützen können und all diese Schutzmassnahmen wirken auch bei dieser neuen Variante. Für Übertragungen braucht es Kontakte – gemeinsam können wir aktiv auch etwas gegen diese neue Variante tun, nämlich indem wir unsere Kontakte so weit wie möglich reduzieren.

So entziehen wir dem Virus den Boden, den es braucht, um sich weiterverbreiten zu können.

Da die Swiss National COVID-19 Science Task Force per 31. März 2022 aufgelöst wurde, werden künftig keine weiteren epidemiologischen Lagebeurteilungen, wissenschaftlichen Updates oder Policy Briefs publiziert. Alle bisherigen Publikationen, Informationen und Seiten der Science Task Force stehen weiterhin auf dieser Website zur Verfügung.