Original text in German
Zusammenfassung
Praktisch alle Nicht-Geimpften werden mit der Zeit eine Immunantwort gegen SARS-CoV-2 durch Infektion aufbauen. Die Krankheitslast kann daher nur durch Erhöhung der Durchimpfung gesenkt werden. Momentan breitet sich die Epidemie schnell aus. Die Zahl der täglich neuen Hospitalisierungen hat sich im letzten Monat 3 mal verdoppelt. Wenn weitere 3 Verdopplungen erfolgen, wären wir bei einer Auslastung wie im Herbst 2020 zum Höhepunkt der 2. Welle.
Beim Nachschub der Impfstoffe gibt es in der Schweiz momentan keine Engpässe. Es sind genug Dosen der hoch-wirksamen mRNA Impfstoffe verfügbar. Bei der schnellen Verimpfung dieser Dosen ist die Schweiz weniger erfolgreich als die anderen West- und Südwest- europäischen Länder. Viele Nicht-Geimpfte haben sich nicht bewusst gegen eine Impfung entschieden. Laut der Sotomo-Umfrage Anfang Juli geben 25% der Impf-Berechtigten an, keine Impfung zu wollen. Dem Gegenüber stehen 58% der Impf-Berechtigten, welche vollständig geimpft sind. Es gibt somit noch 17% nur einmal Geimpfte oder Unentschlossene. Wir schlagen vor, mit einer intensivierten Impfkampagne die Durchimpfung rasch voranzutreiben, so dass nach deren Abschluss nur die Personen nicht geimpft sind, welche bewusst eine Impfung ablehnen.
Sobald nur die Personen nicht geimpft sind, welche bewusst eine Impfung ablehnen, bieten sich aus wissenschaftlicher Sicht 3 Ziele an.
I) Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems;
II) Minimierung der Belastung der 0-12-Jährigen;
III) Schutz der Personen über 12 Jahre, die nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfung vor Hospitalisierung oder Long Covid schlecht schützt.
In Bezug auf Ziel II schlagen wir vor, die nicht-invasiven oder wenig invasiven Massnahmen an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wie CO2 Sensoren, Luftfilter, Masken für die grösseren Kinder und regelmässiges Testen konsequent umzusetzen. Dies dient sowohl dem Schutz der Kinder vor Infektionen wie auch der mentalen Gesundheit und dem fairen Zugang zu Bildung.
Die Impfwirkung gegen zirkulierende und neue Varianten muss engmaschig untersucht werden, um entsprechend zu reagieren. Doppelt Geimpfte stecken sich zu gewissem Masse mit Delta an und Geimpfte übertragen das Virus in gewissem Masse. Das Ausmass der Ansteckung von Geimpften und der Übertragung von Geimpften wird weltweit untersucht. Eine Quantifizierung ist notwendig, um die Wirkung von Massnahmen zu beurteilen und die Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen zu beurteilen. Da die Schweiz den Impfstatus der positiv getesteten Personen nicht systematisch erfasst, fehlen bislang Daten für eine Auswertung.
1 Epidemiologische Lage
Allgemeine Situation
In den letzten Monaten waren in der Schweiz verschiedene Stämme von SARS-CoV-2 im Umlauf. Die Delta-Variante (B.1.617.2) dominiert inzwischen bei weitem (mehr als 90 % der Fälle seit Mitte Juli 2021). Die allgemeinen epidemiologischen Parameter – Zahl der Fälle, Krankenhausaufenthalte, Belegung von Intensivstationen, Todesfälle – geben einen Überblick, ohne dass zwischen den verschiedenen Stämmen unterschieden wird. Seit Juli 2021 ist ein stetiger Anstieg der Epidemie zu verzeichnen.
Dynamik
- 1,42 (95% Unsicherheitsintervall, UI: 1,28-1,57) aufgrund der bestätigten Fälle, per 06.08.2021.
- 1,33 (95% UI: 1,09-1,6) aufgrund der Hospitalisationen, per 31.07.2021. Zum Vergleich aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,54 (95% UI: 1,34-1,74) geschätzt.
- 1,13 (95% UI: 0,28-2,57) aufgrund der Todesfälle, per 25.07.2021. Zum Vergleich aufgrund der Hospitalisationen wird Re für den selben Tag auf 1,29 (95% UI: 1,01-1,61) geschätzt. Aufgrund der bestätigten Fälle wird Re für den selben Tag auf 1,12 (95% UI: 0,99-1,26) geschätzt.
Absolute Zahlen
Die kumulierte Anzahl der bestätigten Fälle über die letzten 14 Tage liegt bei 228 pro 100’000 Einwohner. Die Positivität liegt bei 9% (Stand 13.08.2021, das ist der letzte Tag für welchen nur noch wenige Nachmeldungen erwartet werden).
Die Anzahl der COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen lag über die letzten 14 Tage im Bereich von 48-96 [5] Personen (die Änderung war 57% (UI: 79% bis 37%) pro Woche).
Die Zahl der täglichen laborbestätigten Todesfälle über die letzten 14 Tage war zwischen 1 und 3 [6].
Neue Varianten
Seit Kalenderwoche 26 ist Delta (B.1.617) die dominante Variante in der Schweiz. Diese ursprünglich in Indien beschriebene Variante hatte in der Kalenderwoche 19 eine Häufigkeit von 1%, in der Kalenderwoche 24 eine Häufigkeit von 24%, in der Kalenderwoche 30 eine Häufigkeit von 97% und in der Kalenderwoche 31 eine Häufigkeit von 91% unter den sequenzierten Fällen[7]. Wegen Verzögerungen, mit denen die Sequenzen erfasst werden, können sich diese Häufigkeit, vor allem in Kalenderwoche 31, noch ändern. Aus diesem Anstieg der Häufigkeit von Delta kann man einen Transmissionsvorteil gegenüber Alpha von 72-80% berechnen[8].
Die früher in der Schweiz beobachteten SARS-CoV-2-Varianten, darunter die von März bis Juni 2021 dominierende Alpha-Variante, aber auch die Beta- und Gamma-Varianten, die immer selten waren, haben jeweils eine Häufigkeit von <1% in den letzten Wochen[9].
Delta dominiert mittlerweile die Epidemie in vielen Ländern, darunter Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Deutschland, Italien und Portugal. Der Übertragungsvorteil von Delta gegenüber Alpha wurde auf 56% (95% Konfidenzintervall: 34%-81%) geschätzt [10].
Delta scheint schwerere Verläufe zu verursachen als die zuvor in der Schweiz dominierenden Stämme. Die Daten aus Schottland[11] deuten darauf hin, dass eine Infektion mit Delta rund doppelt so häufig zur Hospitalisierung führt wie eine Infektion mit Alpha (hazard ratio 1,39-2,47). Daten aus Kanada zeigen einen Anstieg des Hospitalisierungsrisikos um 108% (80-138%) gegenüber den im Jahr 2020 zirkulierenden Stämmen[12].
Studien welche die Wirksamkeit von mRNA Impfstoffen gegen eine Infektion mit Delta (einschliesslich asymptomatischer) quantifizieren sind am Laufen. Die Wirksamkeit gegen Infektion des Impfstoffs von Pfizer/BioNtech ist laut Daten aus Israel bei 39% (9-59%) [13]; und laut Daten aus Schottland bei 79% (75-82%) [14]. In einem neuen Bericht der REACT-Studie wird die Impfwirksamkeit gegen Infektionen von 49% (22-67%) errechnet[15] (hierbei wurde nicht zwischen den in England verwendeten Impfstoffen unterscheiden).
Der Impfschutz gegen symptomatische Infektionen mit Delta ist reduziert. Gemäss einem Bericht von Public Health England[16] ist die Wirksamkeit von 89% (87-90%) gegen Alpha auf 79% (78-80%) gegen Delta gesunken (siehe auch [17], [18]; Pfizer/BioNtech). Aus kanadischen Daten ergibt eine Wirksamkeit gegen symptomatische Infektionen mit Delta von 85% (78-89%) [19] (Pfizer/BioNtech und Moderna). Studien aus Israel[20] schätzen eine Wirksamkeit von nur 40,5% (8,7-61,2%). Bisher ist unklar, warum die Wirksamkeit in Israel tiefer zu sein scheint als in anderen Ländern: Nachlassende Impfwirkung bei früh geimpften Personen in Israel, unterschiedliche Impfstoffe (in Kanada neben Pfizer/BioNtech auch Moderna) oder das prolongierte Zeitintervall zwischen den beiden Impfungen (insbesondere in UK) könnte eine Rolle spielen. Wichtig ist jedoch, dass eine Wirksamkeit von 40% gegen Infektion immer noch bedeutet, dass 4 in 10 Infektionen verhindert werden können und dass die Impfung damit auch die Übertragungsdynamik verlangsamt.
Inwieweit die Impfung gegen Transmission schützt, ist noch nicht abschliessend geklärt. Während ein neuer Bericht des CDC[21] zeigt, dass die Viruslast von Delta in Geimpften ähnlich hoch ist wie in Nicht-Geimpften, zeigen die Daten der REACT-Studie aus England[22], dass Geimpfte niedrigere Viruslasten haben. Zeitlich aufgelöste Daten aus Singapur[23] legen nahe, dass die Viruslast bei Geimpften auf einem ähnlich hohen Level beginnt wie bei Nicht-Geimpften aber dann schneller abfällt. Da die Viruslast ein wichtiges Korrelat der Übertragungsfähigkeit ist, deuten diese Daten in jedem Fall darauf hin, dass Geimpfte, die mit Delta infiziert sind, das Virus übertragen können.
Der Impfschutz gegen schwere Erkrankung ist nach wie vor hoch. Die Wirksamkeit liegt bei ungefähr 96% [91-98%] basierend auf Daten aus Grossbritannien[24],[25] und 88% (78,9-93,2%) basierend auf Daten aus Israel [26]. Das bedeutet, dass ungefähr 9 von 10 Hospitalisationen durch eine vollständige Impfung verhindert werden können.
2. Impfkampagne und momentaner Stand
Die Normalisierungsphase ist in der Schweiz dadurch definiert, dass allen Personen im Alter über 12 Jahre eine Impfung gegen SARS-CoV-2 angeboten wurde. Diese Definition ist nicht gleichbedeutend damit, dass sich jede nicht-geimpfte Person bewusst gegen eine Impfung entschieden hat. Wir schlagen vor, mit weiteren grossen Anstrengungen in der Normalisierungsphase anzustreben, dass nur Menschen nicht geimpft sind, die sich aktiv gegen eine Impfung entschieden haben.
Daten aus der kürzlich durchgeführten Sotomo-Befragung deuten darauf hin, dass die Durchimpfung noch deutlich erhöht werden kann. Es geben 25% der Befragten an, sich nicht impfen lassen zu wollen (Abb. 46 in [27]). Das ist ein höherer Prozentsatz an Nicht- Impfwilligen als bei anderen Impfungen wie jenen gegen Tetanus oder Masern[28]. Ein Teil dieser Personen kann möglicherweise mit zusätzlichen Informationen auch von einer Impfung gegen SARS-CoV-2 überzeugt werden[29]. Momentan sind etwa 7.4 Millionen Personen impf-berechtigt. Stand 13.8.2021 sind 4.3 Millionen Personen vollständig geimpft[30]. Dies entspricht 58% aller Impf-Berechtigten. Somit sind noch 17% unentschlossen bzw. noch nicht vollständig geimpft. Ein in anderen Ländern sehr erfolgreicher Weg die Durchimpfung zu steigern, ist die direkte Kontaktaufnahme mit Nicht-Geimpften sowie der möglichst einfache Zugang zur Impfung; mehr Details zu dieser Thematik befindet sich in unserem Wissenschaftlichen Update vom 3.8.2021 [31]. Naheliegend ist weiter, dass insbesondere marginalisierte, sozioökonomisch benachteiligte Gruppen und Personen mit Migrationshintergrund teils noch nicht geimpft wurden, aber ein konkretes Angebot annehmen würden (siehe auch [32] vom Schweizerischen Roten Kreuz und Bericht über deren Engagement[33]).
Die Impfabdeckung und momentane Impfgeschwindigkeit ist in der Schweiz verglichen mit dem europäischen Ausland unter dem Durchschnitt (siehe Abbildung 1). Im oberen rechten Quadranten sind Länder mit einer erfolgreichen Durchimpfung: Auf der horizontalen Achse ist die Zahl der bisher geimpften Personen angegeben, auf der vertikalen Achse die momentane Geschwindigkeit der Durchimpfung. Unten rechts sind Länder, die schon eine höhere Durchimpfung als die Schweiz erreicht haben, deren Tempo in der Durchimpfung nun jedoch auch abgenommen hat. Die Schweiz ist im unteren linken Quadranten, was sowohl eine niedrige bisherige Durchimpfung und eine aktuell tiefe Impfgeschwindigkeit widerspiegelt. Die Durchimpfung bei anderen Krankheiten ist in der Schweiz ähnlich oder höher im Vergleich zu anderen europäischen Ländern[34]. Dies deutet darauf hin, dass die geringe Durchimpfung bei SARS-CoV-2 nicht durch eine generelle Skepsis der Schweizer Bevölkerung gegen Impfungen erklärt werden kann.
Abbildung 1.: Die Zahl der geimpften Personen (x-Achse) und die wöchentliche Rate der Durchimpfung (y-Achse) im Vergleich zum EU Durchschnitt. Quelle OWID (15.08.2021).
3. Strategie in der Normalisierungsphase
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickeln – entweder durch Impfung oder durch Infektion (z.B.[35]).
Bis zu 3 Millionen Menschen werden durch Infektion Antikörper gegen SARS-CoV-2 entwickeln, es sei denn, die derzeitige Durchimpfungsrate steigt erheblich. Insbesondere ist die Zahl der Personen, die derzeit nicht immun sind, über alle Altersgruppen hinweg fast so hoch (90%) oder grösser als die Zahl der Personen, die sich in der Vergangenheit mit SARS-CoV-2 infiziert haben (Tabelle 1). Die zukünftige potenzielle Krankheitslast ist insgesamt grösser als die gesamte bisherige Krankheitslast.
Tabelle 1. Abschätzung der Anzahl nicht-immuner Menschen in verschiedenen Altersklassen. Nicht-immun ist definiert als kein Immunschutz vor Hospitalisierung. Dies ist eine aktualisierte und erweiterte Version der Tabelle, die im Wissenschaftlichen Update vom 20. Juli 2021 dargestellt ist[36].
a Momentan Nicht-Immune werden abgeschätzt basierend auf der Anzahl ein- und zweimal Geimpfter am 12. August 2021 und der geschätzten Wirksamkeit der Impfung bezüglich Hospitalisation. Wir schätzen die Anzahl der noch Nicht-Immunen als die Anzahl der Personen, die weder geimpft noch genesen sind. Zusätzlich addieren wir noch den Anteil der Geimpften, die nicht vor der Hospitalisation geschützt sind anhand des Anteils der Bevölkerung in einer Altersklasse, die geimpft sind, und der Wirksamkeit der Impfung gegen Hospitalisation (80% nach einer Impfdosis, 96% nach zwei Impfdosen[37]). Für weitere Details siehe[38].
b Hospitalisation und Todesfall pro Infektion: Die meisten Daten basieren auf Infektionen mit den SARS-CoV-2 Stämmen, die bis März 2021 dominant waren. Bei Infektionen mit der Delta-Variante ist das Risiko einer Hospitalisation oder eines Todesfalls grösser als bei den Stämmen, die bis März 2021 dominant waren (siehe Abschnitt 1). Angegeben ist der Bereich der Werte über die ganze Altersklasse hinweg.
c Momentane potenzielle Krankheitslast: Die maximale mögliche Krankheitslast falls alle Menschen infiziert würden, die im Moment nicht immun sind. Das ist also nicht eine Schätzung der zukünftigen Krankheitslast, sondern gibt die obere Grenze an für die mögliche Krankheitslast mit den aktuell bekannten Virenstämmen. Hier ist nicht berücksichtigt, dass bei Infektionen mit der Delta-Variante das Risiko einer Hospitalisation oder eines Todesfalls grösser ist als bei den Stämmen, die bis März 2021 dominant waren. Dieser Umstand führt zu einer weiteren Erhöhung der momentanen potenziellen Kranhkeitslast.
Alters- | Anzahl Menschen | Bislang infiziert (geschätzt) | Bislang hospita- | Bislang gestorben | Bislang vollständig geimpft | Momentan nicht immun (geschätzt)a | Hospitalisation pro Infektionb | Todesfall pro Infektionb | Momentane potenzielle Krankheitslastc |
0-9 | 873’043 | 200’000 | 341 | 2 | 126 | 675’000 | 0.17% | 0.001% | etwa dreimal so hoch wie bisher |
10-19 | 844’155 | 255’000 | 170 | 1 | 126’612 | 470’000 | 0.07% | 0% | etwa doppelt so hoch wie bisher |
20-29 | 1’045’350 | 275’000 | 543 | 3 | 424’517 | 420’000 | 0.20% | 0.001% | etwa eineinhalb mal hoch wie bisher |
30-39 | 1’229’176 | 305’000 | 973 | 11 | 567’945 | 460’000 | 0.32% | 0.004% | etwa eineinhalb mal hoch wie bisher |
40-49 | 1’198’325 | 305’000 | 1’900 | 40 | 653’486 | 375’000 | 0.62% | 0.013% | etwa gleich hoch wie bisher |
50-59 | 1’292’837 | 305’000 | 3’921 | 209 | 799’716 | 350’000 | 1.30% | 0.07% | etwa gleich hoch wie bisher |
60-69 | 947’959 | 210’000 | 5’286 | 696 | 692’293 | 190’000 | 2.50% | 0.33% | etwa gleich hoch wie bisher |
70-79 | 721’518 | 120’000 | 7’167 | 2’088 | 599’348 | 110’000 | 5.99% | 1.74% | etwa gleich hoch wie bisher |
ab 80 | 453’670 | 55’000 | 9’331 | 7’309 | 367’618 | 80’000 | 16.50% | 12.92% | etwa eineinhalb mal so hoch wie bisher |
Bisher hat sich aus wissenschaftlicher Sicht ein zentrales Ziel angeboten, nämlich Menschen vor einer Infektion zu schützen, bis sie die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Die Strategie zur Erreichung dieses Ziels bestand darin, tiefe Fallzahlen anzustreben (Eindämmungsstrategie, Policy Brief 26.5.2020 [39], Policy Brief 14.9.2020 [40]). Wenn solch eine Strategie erfolgreich verfolgt wird, gibt es keine zusätzliche Belastung für das Gesundheitssystem. Sobald nur noch die Personen, welche sich bewusst gegen eine Impfung entschieden haben, nicht geimpft sind, ist dieses bisherige Ziel in der Gruppe der über 12-Jährigen nicht mehr relevant: Mit einer Entscheidung gegen die Impfung wird (möglicherweise unbewusst) eine Infektion mit SARS-CoV-2 in Kauf genommen, inklusive der Möglichkeit eines schweren Verlaufs oder von Long Covid.
Statt alle Menschen vor einer Infektion zu schützen, benötigen nun nur noch die Menschen Schutz, die nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfstoffe nicht gut wirken. Zugleich muss das Gesundheitssystem vor einer Überlastung geschützt werden. Eine Überlastung des Gesundheitssystems würde bedeuten, dass Patienten und Patientinnen unabhängig von der Art ihrer Erkrankung (Nicht-COVID und COVID) und unabhängig vom COVID-Impfstatus durch verzögerte Behandlungen oder Triage unter den Folgen der Überlastung leiden würden.
Die aus wissenschaftlicher Sicht vorgeschlagenen Ziele der Pandemiebekämpfung in der Normalisierungsphase ändern sich von “alle Menschen vor einer Infektion zu schützen bis sie die Chance hatten, sich impfen zu lassen” zu: I) Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems, II) Minimierung der Belastung der 0-12-Jährigen, welche momentan nicht geimpft werden können, und III) Schutz der Personen über 12 Jahre, die nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfung vor Hospitalisierung oder Long Covid schlecht schützt. |
Die COVID19-Krise wird überwunden sein wenn sowohl die vollständige Öffnung der Wirtschaft und Gesellschaft ohne pandemie-bedingte Massnahmen möglich ist und gleichzeitig die Ziele I-III erfüllt sind.
Wenn wir jedoch vollständig öffnen sind momentan Ziele I-III nicht erfüllt. Die Zahl der Nicht-Immunen ist so gross, dass das Gesundheitssystem überlastet werden könnte (Sci. Update 3.8.2021 [41] zu Risiken für das Gesundheitssystem). Schon mit bestehenden Massnahmen hatten wir bei den neuen Hospitalisierungen im Laufe des vergangenen Monats 3 Verdopplungen beobachtet. Wenn nochmal 3 Verdopplungen erfolgen, wären wir bei einer Auslastung wie im Herbst 2020 zum Höhepunkt der 2. Welle. Dies bedeutet dass die Pandemie immer noch eine grosse Herausforderung darstellt und das Erreichen der Ziele I-III eine neue Strategie erfordert.
Ein sehr grosser Teil der nicht-immunen Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, werden langfristig durch eine Infektion eine Immunantwort gegen SARS-CoV-2 erwerben. Diese Krankheitslast kann nicht gesenkt werden (es sei denn, diese Menschen entscheiden sich doch noch für eine Impfung). Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, wird sich infizieren, und einige werden eine schwere Krankheit oder Long Covid entwickeln. Interventionen können lediglich darauf abzielen, die Krankheitslast entweder über einen kurzen oder einen langen Zeitraum zu verteilen. Insbesondere werden wir die Pandemie erst überwinden, wenn die Zahl der Nicht-Immunen klein genug ist, so dass das Gesundheitssystem mit der dann noch zu erwartenden Krankheitslast umgehen kann.
In der Normalisierungsphase gilt es einen Weg zu finden, die unvermeidbaren Krankheitsfälle bei Personen, welche sich gegen eine Impfung entschieden haben, zuzulassen und gleichzeitig die Ziele I-III zu erreichen.
Im Folgenden werden Strategien zur Erreichung der neuen Ziele I-III skizziert. Wir weisen darauf hin, dass diese Strategien auf der Grundlage des Wissens über den derzeit dominierenden Stamm Delta formuliert wurden. Die Strategien können sich jedoch ändern, wenn Varianten mit anderen Eigenschaften dominant oder neue Eigenschaften von Delta bekannt werden.
3.1. Ziel I: Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems
Derzeit ist der Impfschutz in der Schweizer Bevölkerung zu gering, um das Gesundheitssystem bei einer künftigen Pandemiewelle mit schnellem Wachstum zu schützen (Scientific Update 20.7.2021 [42] und Scientific Update 3.8.2021 [43]). Daher muss eine Pandemiewelle mit schnellem Wachstum gebremst werden, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dies gilt prinzipiell so lange, bis genügend Immunität in der Bevölkerung durch Impfungen und natürliche SARS-CoV-2 Infektionen aufgebaut ist, sodass die verbleibende Krankheitslast das Gesundheitssystem nicht mehr überfordern wird.
Die Zielsetzung der Covid-Zertifikate ändert sich durch die Erkenntnis, dass ein relevanter Anteil geimpfter und genesener Personen mit der aktuell dominanten Virusvariante infiziert werden können und auch das Virus übertragen können. Geimpfte Personen werden wie in Abschnitt 1 erwähnt zu einem gewissen Grad mit der Delta-Variante von SARS-CoV-2 infiziert und können das Virus weitergeben. Die genaue Quantifizierung von Infektion und Übertragung ist nicht abschliessend klar. Hingegen werden rund 9 von 10 schweren Delta Infektionen mit Hospitalisierungsfolge durch die Impfung oder durch eine Immunität nach Genesung verhindert. Diese Erkenntnisse haben Implikationen für das Covid-Zertifikat.
- GGG Veranstaltungen zielen darauf ab die Zahl der aktuell infektiösen Personen auf einer Veranstaltung tief zu halten. In allen drei Gruppen werden jedoch infektiöse Personen erwartet (Geimpfte wegen reduzierter Wirksamkeit der Impfung gegen Infektion bei Delta-Variante, siehe oben; Genesene wegen Re-Infektionen; Getestete wegen ungenügender Sensitivität von Tests[44]). Die Inzidenz von Infektionen unter Teilnehmern von Veranstaltungen kann mit dem GGG Konzept verringert werden. Dies verringert auch die Anzahl der Personen, die sich bei GGG Veranstaltungen anstecken. Der Nutzen von GGG Konzepten wird stark davon abhängen, wie hoch die Inzidenz und die Übertragungsrate der Immunen ist und wie hoch die Inzidenz und Übertragungsrate der negativ Getesteten (durch falsch negative Tests) ist. Fakt ist dass auf GGG Veranstaltungen grosse Ausbrüche passieren wie in den Niederlanden und dann auch in der Schweiz dokumentiert [45], [46], [47].
- Eine mögliche Anpassung solcher Schutzkonzepte wäre es, den Zulass auf Geimpfte und Genesene zu beschränken. Solche GG-Veranstaltungen mit Ausschluss der negativ Getesteten würden darauf abzielen, die Anzahl der Nicht-Immunen – d.h. diejenigen Personen die sich vermehrt anstecken und bei Ansteckung möglicherweise schwere Verläufe haben was das Gesundheitssystem wieder sehr belasten könnten – zu minimieren. Durch Streichung des dritten G (Getestet) könnte insbesondere Superspreading in Getesteten, welche (ausser wenn sie unwissentlich in der Vergangenheit infiziert waren) keine Immunität aufweisen, vermieden werden. Wichtig ist hier: Die Gefahr geht von der Suszeptibilität der Getesteten und dem Risiko derer für einen Spitaleintritt aus; Infizierende können Personen aus allen drei G-Gruppen sein. Gleichzeitig würde die Durchführung von GG Veranstaltungen bedeuten, dass Virus-Zirkulation in Geimpften und Genesenen akzeptiert wird (und dadurch auch ein Risiko besteht, dass auf GG Veranstaltungen angesteckte Personen das Virus in andere Orte tragen). Ein Grund für die Akzeptanz wäre, dass es mehrheitlich nur zu milden Verläufen in diesen Gruppen führt. Eine ähnliche Idee wird z.B. in New York oder Grossbritannien umgesetzt und wurde in Frankreich angekündigt, wo nur noch Geimpfte in gewisse Lokalitäten Einlass haben[48], [49].
Das Erreichen von Ziel I erfordert, dass die Zahl der Fälle bei den Nicht-Geimpften nicht zu schnell ansteigt. Grund ist, dass die Nicht-Geimpften ein erhöhtes Risiko für einen Spitaleintritt haben. Bei den Geimpften werden rund 9 von 10 Spitaleintritten durch Impfung verhindert. Ein Abwenden eines schnellen Anstiegs der Fälle in den Nicht-Geimpften kann mit einer Kombination aus zwei Prinzipien angestrebt werden:
- die Infektionen bei den Nicht-Geimpften durch auf sie zugeschnittene Massnahmen zu verringern, und
- einige allgemeine Basismassnahmen für alle Personen zur Verlangsamung der Übertragung beibehalten.
Mögliche spezifische Massnahmen für die nicht geimpfte Gruppe, um die Pandemiewelle zu verlangsamen wenn die Situation dies erfordert:
- Streichung des dritten G (getestete Personen) aus dem Covid-Zertifikat (siehe auch Abschnitt 4 im Sci. Update 20.7.2021 [50]).
- Covid-Zertifikat auf weitere Veranstaltungen ausdehnen.
Allgemeine wirksame Massnahmen zur Verlangsamung der Pandemiewelle:
- TTIQ:
- Test-Trace-Isolate ist ein wirksames Instrument zur Verlangsamung der Übertragung. Es ist am wirksamsten, wenn es für die gesamte Bevölkerung beibehalten wird. Ein Grund, die Isolierung der Geimpften nicht aufzuheben, ist, dass Geimpfte, wenn sie mit Delta infiziert sind, das Virus übertragen können[51].
- Eine Quarantäne für nicht geimpfte / nicht genesene Personen bei Kontakt mit einer SARS-CoV-2-positiven Person und nach Reisen kann die Übertragungskette unterbrechen.
- Eine Aufhebung der Quarantäne für geimpfte und genesene Personen könnte damit begründet werden, dass der Impfstoff sie zu einem gewissen Grad vor einer Ansteckung schützt (es werden von 10 Infektionen durch Impfung je nach Studie 4-6 oder mehr Ansteckungen verhindert, siehe Abschnitt 1). Unklar ist weiter, wieviel die infizierten Geimpften übertragen.
- Masken in Innenräumen für alle Personen
3.2. Ziel II: Minimierung der Belastung der 0-12-Jährigen welche momentan nicht geimpft werden können
Etwa 1,1 Mio. 0-12-Jährige können derzeit nicht geimpft werden. Die überwiegende Mehrheit dieser Kinder wird Immunität gegen SARS-CoV-2 erlangen – entweder durch Impfung oder Infektion. Das Risiko von (i) “Massnahmen (bis Abschluss Durchimpfung in Kindern) und Impfung” vs. (ii) “Infektion” muss für die Festlegung einer zukünftigen Strategie verglichen werden.
Daten aus anderen Ländern deuten darauf hin, dass die Delta-Variante die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Kindern beschleunigen wird. Bisher haben Länder mit einer anhaltenden Verbreitung der Delta-Variante die höchsten pädiatrischen Einweisungsraten seit Beginn der Pandemie gemeldet[52], aber es ist nicht klar, ob dies auf einen erhöhten Schweregrad der Delta-Variante bei Kindern oder auf eine anhaltende Verbreitung in dieser Bevölkerungsgruppe zurückzuführen ist. Es wird erwartet, dass Kinder immer häufiger als Indexfälle in Gemeinde- oder Schulclustern identifiziert werden. Erstens sind Erwachsene zunehmend geimpft und werden daher seltener als Indexfälle identifiziert. Zweitens legen Daten aus[53] nahe, dass eine Infektion mit der Delta-Variante mit einer bis zu 1000-fach höheren Viruslast als beim Wildtyp verbunden sein könnte und somit erwartet wird, dass die Übertragung auch von Kindern häufiger werden.
Wir diskutieren nun die Belastungen der Kinder in Optionen (i) und (ii) vor dem Hintergrund der zirkulierenden Delta-Variante.
(i) Belastung durch Massnahmen (bis Abschluss Durchimpfung in Kindern) und Impfung:
- Psychologische Aspekte
- Soziale Isolation
- Einsamkeit als Folge von Massnahmen, welche für die Kinder einschneidende Veränderungen mit sich bringen wie z.B. Verbot von Gruppenaktivitäten, teilweisen Schulschliessungen oder Online Unterricht, Quarantäne
- Kinder als Überträger des Virus auf vulnerable Personen, die nicht geimpft werden können.
- Aspekte rund um Bildung
- Vorübergehende Schulschliessungen bei Ausbrüchen
- Quarantäne
- Eltern schicken ihre Kinder nicht zur Schule, wenn Erkrankungen in der Schule gehäuft auftreten
- Impfstoff-Nebenwirkungen: Myokarditis und andere Nebenwirkungen. Dies wird in den laufenden Zulassungsstudien untersucht. Bei den 12-17-jährigen Jungen wurde gezeigt, dass Myokarditis durch SARS-CoV-2 Infektionen 6x wahrscheinlicher ist als durch Impfung[54].
- Die Akzeptanz der Impfung könnte bei Kindern und Eltern gering sein. Die Kinder, welche nicht geimpft werden, werden sich auf Dauer infizieren. Daher haben die nicht geimpften Kinder nur die Kosten der Massnahmen erfahren, aber nicht deren Nutzen.
- (ii) Belastung durch Infektion:
- Akut haben die meisten Kinder leichte Verläufe, jedoch gibt es auch selten sehr schwere Verläufe. Wir legen Zahlen dazu in [55] (Abschnitt 3.2.2) dar.
- Belastbare Daten zur Schwere von Infektionen in Kindern ausgelöst durch die Delta-Variante liegen noch nicht vor.
- Long Covid wird in Kindern rapportiert[56]. Es ist weiter unklar, in welchem Umfang Kinder betroffen sind. Die Inzidenz schwankt zwischen 0,5 % und bis zu 43 % der dokumentierten Fälle[57], [58], [59]. Die Varianz ist wohl auf unterschiedliche pädiatrische Subpopulationen, methodische Ansätze und Falldefinitionen zurückzuführen. Darüber hinaus sind die Long Covid -Symptome unspezifisch und könnten teils auch durch andere somatische oder psychologische Ursachen erklärt werden. Es gibt bislang zwei Studien mit Kontrollgruppen. In der Ciao-Corona-Längsschnittkohorte [60] war die Häufigkeit anhaltender Symptome, die in einem speziellen Fragebogen angegeben wurden, zwischen zufällig ausgewählten seropositiven und seronegativen Kindern in den sechs Monaten nach der Ansteckung vergleichbar, was auf eine sehr geringe Inzidenz von Long Covid bei Kindern zwischen 6 und 16 Jahren hindeuten könnte (wobei die Zahl der einbezogenen Kinder klein ist und so Ergebnisse in anderen Studien weiter bestätigt werden sollten). So berichteten beispielsweise 9 % der seropositiven und 10 % der seronegativen Kinder über Symptome, die länger als 4 Wochen andauerten. Es berichten jedoch 4 % der seropositiven und 2 % der seronegativen Kinder über Symptome, die länger als 12 Wochen andauerten. In ähnlicher Weise wurden in einer großen prospektiven Kohortenstudie[61] bei 4,4 % der PCR-positiven Patienten anhaltende Symptome nach mehr als 28 Tage festgestellt. Nach mehr als 56 Tage gingen diese auf 1,8 % zurück. Da die durch PCR bestätigten pädiatrischen Fälle nur einen kleinen Teil der gesamten pädiatrischen SARS-CoV-2-Infektionen ausmachen, ist es sehr gut möglich, dass diese Zahlen die tatsächliche Inzidenz der Long Covid bei Kindern überschätzen. Pädiatrische Long Covid scheint vor allem ältere Kinder zu betreffen. Das gemeldete Durchschnittsalter liegt zwischen 11 und 14 Jahren [62], [63], [64], [65].
- Bei zu hohen Fallzahlen könnten einige Eltern ihre Kinder während einer epidemischen Welle zu Hause behalten, was wiederum den Tagesablauf der Kinder beeinträchtigt.
- Bei zu vielen und grossen Ausbrüchen könnten Bund und Kantone auf Quarantäne bestehen, um generelle Virus-Transmission zu bremsen, was wiederum grosse Auswirkungen auf Kinder hat (Psyche, Bildung), aber auch auf die Eltern, welche bei kleinen Kindern in Begleit-Quarantäne müssen.
Wenn (i) gewählt wird, müssen Massnahmen fortgesetzt werden, um die Zirkulation des Virus bei Kindern zu bremsen. Ziel ist, durch die Pandemie ausgelöste psychische Belastung und Auswirkung auf Bildung zu minimieren und gleichzeitig die Kinder im Herbst vor einer Infektion zu schützen. Ziel wäre, dass viele Kinder – genauso wie viele Erwachsenen – die Wahl zwischen Impfung und Infektion haben werden, sobald eine Impfung zugelassen ist.
Wegen der negativen Auswirkungen von Schulschliessungen auf die mentale Gesundheit und die Bildung sollte alles getan werden, um Schulen, Kindergarten und KITAs offen zu halten. Schliessungen haben grosse Konsequenzen auf Psyche und Bildung. Aufgrund der Eigenschaften von Delta wird es bei offenen Einrichtungen jedoch nicht vermeidbar sein, dass es immer wieder Ausbrüche in Schulen gibt. Ziel bei offenen Schulen wird sein, das Risiko und die Zahl der Ausbrüche zu minimieren. Innerhalb dieser Institutionen sind folgende Massnahmen zur Vermeidung von Übertragungen wirkungsvoll:
- Kinder mit Symptomen müssen zu Hause bleiben
- Massnahmen, welche die Kinder in keinerlei Weise beeinträchtigen und daher in jedem Falle umgesetzt werden könnten (auch um epidemische Wellen von anderen respiratorischen Viren abzufedern) sind CO2-Sensoren in allen Räumen [66] und Luft-Filter wo erforderlich[67]. Bei Kosten von 100 CHF pro Sensor und 1.1 Mio. Kindern und der Annahme, dass im Schnitt pro 10-15 Kindern ein Sensor benötigt wird, liegen die Anschaffungs-Kosten für CO2-Sensoren bei 7-11 Mio. CHF.
- Masken an Schulen sind weiter ein Mittel, um die Transmission zu senken. Der Tagesablauf ist durch Masken nicht relevant beeinträchtigt. Es gibt Hinweise, dass das Erkennen von Emotionen im Gesicht durch das Tragen von Masken bei 7-13-Jährigen eingeschränkt sein könnte[68]. Es ist unklar, inwieweit dies durch anderweitige Signale wie Stimme, Bewegung ausgeglichen werden kann.
- Regelmässig Testen erlaubt, Fälle früher zu erkennen und so Transmissionsketten zu durchbrechen.
- Quarantäne unterbricht Transmissionsketten, hat aber starke Auswirkungen auf den Alltag der Kinder und deren Eltern. Eine Idee wäre, die Quarantäne der Kinder durch sehr regelmässiges Testen zu ersetzen. Um die Akzeptanz der Tests möglichst gross zu machen, muss der Test nicht-invasiv sein (d. h. Speichel oder Wangenabstrich). Es hat sich gezeigt, dass der Antigen Schnelltest bei Nasen-Rachen-Abstrichen von asymptomatischer Kinder eine Sensitivität von nur rund 43 % aufweist[69]. Zur Erhöhung der Sensitivität müssen PCR-Tests eingesetzt werden, da die Viruslast im Wangen-/Speichelbereich niedriger ist als im Nasen-Rachen-Raum. Die Probleme bei der PCR Methode im Falle regelmässiger Tests sind die Kosten und die Zeitdauer vom Test bis zum Vorliegen des Ergebnisses. Die Zusammenlegung von Proben senkt die Kosten, aber erhöht die Zeitdauer. Zudem wird das Zusammenlegen von Proben ab einer gewissen Positivitätsrate ineffizient. Wenn Testen die Quarantäne ersetzen soll, gilt es weiter nach Auftreten eines Falls die Kontaktpersonen rasch zu testen.
- Weiter werden durch Massnahmen in der breiten Bevölkerung – TTI und Masken für alle Personen in Innenräumen (wie auch in Abschnitt 3.1) – die Kinder vor Ansteckungen geschützt.
Wenn (ii) gewählt wird, würden konsequenterweise alle Massnahmen, welche auf Kinder abzielen, aufgehoben werden. Jedoch ist wichtig zu überlegen, was bei grossen Ausbrüchen in Schulen oder einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems passieren wird. Es ist plausibel, dass Kinder dann nicht ohne weitere Einschränkungen ihren Alltag bestreiten können. Wir müssen uns bewusst sein, dass unter diesen Umständen zum Schutz des Gesundheitssystems generelle Eindämmungsmassnahmen getroffen werden müssen, welche Kinder und Erwachsene gleichermassen betreffen. Solche Massnahmen haben auch wieder Folgen für Psyche und Bildung der Kinder.
Daher scheint es nicht nur in Bezug auf Infektionen, sondern auch in Bezug auf Psyche/Bildung für Kinder angezeigt zu sein, dass die oben beschriebenen nicht invasiven oder nur wenig invasiven Massnahmen konsequent beibehalten und umgesetzt werden. Damit liesse sich eine zu grosse Krankheitswelle unter den Kindern verhindern. Das CDC kommt zu einer ähnlichen Einschätzung[70].
3.3. Ziel III: Schutz von Personen über 12 Jahren, die nicht geimpft werden können oder bei denen die Impfung vor Hospitalisierung oder Long Covid schlecht schützt
Impfwillige Personen mit ungenügendem Schutz sind Personen die (i) nicht geimpft werden können, (ii) bei denen die Impfung generell schlecht wirkt, (iii) bei denen die Impfwirkung über die Zeit nachgelassen hat.
(i) Nur sehr wenige Personen können aufgrund von allergischen Reaktionen nicht geimpft werden. Nach einer Zulassung von weiteren Impfstoffen wie NovaVax / AstraZeneca sollte deren Verwendung die Zahl der nicht impfbaren Personen auf eine sehr kleine Zahl senken.
(ii) In Personen mit einer Immunschwäche oder welche immunsupprimiert sind, wirkt die Impfung nur in reduziertem Masse. Es gibt keine zuverlässigen Daten über die Grösse dieses Personenkreises in der Schweiz. Unsere groben Abschätzungen gehen von sicher über 100’000 Personen aus. Diese Personen können folgendermassen geschützt werden:
- Immunität messen und Auffrischungsimpfungen für diese Menschen bei Bedarf durchführen (dies wird bei Patienten und Patientinnen mit schwerer Immunsuppression z.B. nach Organtransplantation von der EKIF empfohlen[71])
- Gesundheitspersonal, welches diese Personen behandelt:
- Konsequentes Umsetzen der Hygienemassnahmen, insb. konsequentes Maskentragen vom gesamten Gesundheitspersonal
- Regelmässige obligatorische Tests für das Gesundheitspersonal senken das Risiko einer Übertragung. Konsequenterweise müssten auch alle Patienten und Patientinnen regelmässig getestet werden, da viele Patienten in Mehrbettzimmern untergebracht sind. Die Testresultate müssten in einem sehr schnellen Turnaround verfügbar sein. Der Aufwand solcher Tests, welche mehrmals die Woche durchgeführt werden müssen, ist gross.
- Einige Kantone haben bereits obligatorische Tests für nicht geimpfte Personen eingeführt. Dies hilft Übertragungsketten zu durchbrechen, jedoch geht mit Delta auch ein gewisses Risiko von den doppelt geimpften Personen aus. Es braucht weitere Daten, um das Risiko genau zu beziffern.
- Vorbeugende monoklonale Antikörpertherapie
(iii) Generell erwarten wir, dass die Wirkung der Impfung mit der Zeit nachlässt. Auffrischungsimpfungen können hier Abhilfe verschaffen.
Einerseits wird die Wirkung nachlassen, weil in den geimpften Personen die Immunantwort abnimmt. Israel hat bereits mit einer dritten Impfdosis zur Verbesserung des Schutzes bei den Älteren gestartet und auch Deutschland plant dies. In der Schweizer Impfkampagne wurden die vulnerablen Gruppen priorisiert und als erste geimpft. In diesen Personen werden im Schnitt die schwersten Verläufe bei SARS-CoV-2 erwartet. Zusätzlich zur Abnahme der Immunantwort aufgrund des langen Intervalls zwischen Impfung und einer möglichen Infektion könnte deren Immunantwort generell geschwächt sein durch ihr höheres Alter oder anderen Erkrankungen. Die Impfwirkung könnte daher in der kommenden Zeit so weit nachlassen, dass auch schwerere Krankheitsverläufe nach Infektion möglich wären. Daher könnte eine Auffrischung in Risikogruppen vor dem kommenden Winter angeboten werden mit oder ohne eine vorgeschaltete Messung der virusneutralisierenden oder Spikeprotein spezifischen Antikörperantworten (wie bei transplantierten Patienten[72]).
Auffrischungen werden zudem erforderlich, wenn Varianten den Impfschutz umgehen. Die Impfstoffe scheinen noch sehr gut auch nach länger zurückliegender Impfung gegen schwere Verläufe mit Hospitalisierung bei Infektion mit Delta zu schützen (siehe Abschnitt 1). Nachdem Delta vermehrt Geimpfte infiziert, stellt sich die Frage, ob Geimpfte an Long Covid leiden werden. Long Covid kann in doppelt Geimpften auftreten[73] aber das Ausmass bei Delta ist noch unklar, und sollte weiter untersucht werden.
Da die Schweiz den Impfstatus der positiv getesteten Personen nicht systematisch erfasst, fehlen bislang schweizweite Daten für eine Auswertung im Bezug auf Fragen zur Nachlassung der Impfwirkung. Die Sequenzierung der Proben der positiv getesteten doppelt geimpften Personen würde zudem ermöglichen, zeitnah zu erkennen, ob weitere Varianten zirkulieren, die den Impfschutz umgehen (siehe z.B. Sci. Update 07.04.2021 [74]). Zusätzlich braucht es systematisch und longitudinal gesammelte Serum-Proben von unterschiedlichen Populationen (mit Moderna resp. Pfizer/Biontech Geimpfte unterschiedlichen Alters sowie nicht-geimpfte Personen mit dokumentierter vorheriger Infektion), um deren Immunantwort gegen aktuell zirkulierende Viren zu messen.
Referenzen:
[1] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.
[2] https://sciencetaskforce.ch/reproduktionszahl/ und https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re-international/: Die Schätzungen von Re über die letzten Tage können leichten Schwankungen unterliegen. Diese Schwankungen treten insbesondere in kleinen Regionen, bei sich ändernder Dynamik und bei niederen Fallzahlen auf.
[3] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/trends: Aufgrund von Melderverzögerungen werden die letzten 3 respektive 5 Tage für bestätigte Fälle und Hospitalisationen/Todesfälle nicht berücksichtigt.
[4] https://ibz-shiny.ethz.ch/covidDashboard/, Dashboard Time Series
[6] https://www.covid19.admin.ch
[7] https://cov-spectrum.ethz.ch/
[8] https://cov-spectrum.ethz.ch/
[9] https://cov-spectrum.ethz.ch/explore/Switzerland/AllSamples/AllTimes
[10] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/993358/s1288_Warwick_RoadMap_Step_4.pdf
[11] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01358-1/fulltext
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[19] https://www.alberta.ca/stats/covid-19-alberta-statistics.htm#vaccine-outcomes
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[23] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.07.28.21261295v1.full.pdf
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