14. September 2020 – Policy Brief
EinVorschlag zur Bewältigung der Epidemie bestünde darin, absichtlich zuzulassen, dass sich diese in der Bevölkerung verbreitet. Dies in der Hoffnung, die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern und die Epidemie zu stoppen, sobald sich eine Mehrheit der Bevölkerung angesteckt hätte. Diese Herangehensweise beruht jedoch auf unsicheren Grundlagen und würde Wirtschaft und Gesellschaft sowie dem Gesundheitswesen massive Kosten verursachen.
Es gibt Stimmen, die fordern, der SARS-CoV-2-Epidemie in der Bevölkerung ihren Lauf nehmen zu lassen. So soll eine«Herdenimmunität» erreicht werden, die die Ausbreitung der Infektionmit geringfügigerenAuswirkungen für die Wirtschaft stoppen würde. Unsere Analyse zeigt, dass dieser Ansatz im Gegenteil weitaus grössere wirtschaftliche, gesellschaftliche und gesundheitliche Kosten verursachen würde als die derzeit verfolgte Strategie, die darauf abzielt, die Zahl der Infektionen so gering wie möglich zu halten. Dieser Ansatzist deshalb zu verwerfen.
Erstens ist es keineswegs sicher, dass eine Infektion eine robuste und dauerhafte Immunität hervorruft, insbesondere bei milden Covid-19-Fällen. Die Datenlage deutet darauf hin, dass die erworbene Immunität vielleicht ähnlich schwach ist wie bei den Coronaviren, die für viele der häufig wiederkehrenden Erkältungskrankheiten verantwortlich sind. Es gibt auch keine Anzeichen auf eine Kreuzimmunität mit solchen gängigen Erkältungs-Coronaviren. Wenn infizierte Personen nur einen teilweisen und vorübergehenden Schutz erwerben, können sie sich mehrmals neu anstecken. Das würde es unmöglich machen, durch die Infektionen eine solide kollektive Immunität zu erreichen. Demgegenüber, so ist hervorzuheben, verleihen wirksame Impfstoffe (z.B. gegen Masern oder Polio) eine starke und dauerhafte Immunität.
Die Epidemie ihren Lauf nehmen zu lassen, hätte enorme gesundheitliche Auswirkungen. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung müssten infiziert sein, um auf eine Eindämmung der Epidemie hoffen zu können, mit mehreren Zehntausend Covid-19-Todesfällen (die Sterblichkeit wird in der Schweiz auf 0,5-1% geschätzt). Der Schutz von Risikopopulationen wäre extrem schwierig, da sich das Virus verbreitet, bevor bei den infizierten Personen Symptome auftreten. Die Zahl der Todesfälle würde dramatisch ansteigen, falls die Epidemie nicht unter Kontrolle gebracht werden könnte, was zum Zusammenbruch des Schweizer Gesundheitssystems führen würde.
Um dies zu vermeiden, sollte die Zahl der gleichzeitig auf der Intensivstation behandelten Personen nicht mehr als etwa tausend betragen. Es würde dann mindestens ein Jahr dauern, um nur schon die Hälfte der Bevölkerung zu infizieren und so die Epidemie einzudämmen (für den Fall, dass sich die durch die Infektion erworbene Immunität als stark und lang anhaltend erweisen würde, was bei weitem nicht sicher ist). Auch Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Risiko wären betroffen: 10% bis 30% der Personen mit einem milden Verlaufvon Covid-19, weisen über einen Monat nach der Diagnose noch immer Symptome auf.
Man könnte darauf hoffen, dass ein freies Laufenlassen der Epidemie die Präventionsmassnahmen und damit die sozialen und wirtschaftlichen Kosten vermindern würde. Dies trifft jedoch nicht zu, da die Intensität der Massnahmen die Zahl der täglichen Infektionen nicht auf einem konstanten Niveau stabilisiert, sondern deren Zu-und Abnahme beeinflusst. Im Gegenteil bedingt die Kontrolle der Epidemie bei einer hohen Zahl von Infizierten viel drastischere Massnahmen als bei einer niedrigen Zahl. Denn mit wenigen Fällen sind die Kontaktnachverfolgung und die Isolierung einer begrenzten Anzahl Personen möglich. Mit dem gegenwärtig praktizierten Ansatz, bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes die Zahl der Infizierten so tief wie möglich zu halten, wird die Wirtschaft weniger hart getroffen und die persönlichen Freiheitsrechte werden besser respektiert. Es ist wichtig, dass der Bund seine kurz-und mittelfristige Strategie zur Bewältigung der Epidemie klar kommuniziert.
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Date of response: 14/9/2020
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Contact persons: Martin Ackermann, Manuel Battegay, Samia Hurst, Monika Buetler, Marcel Tanner, Sebastian
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